Gift und Galle im Bundestag

Berlin. Volker Kauder reagierte am vergangenen Mittwoch als erster. "Das muss gerügt werden! Das ist eine Sauerei!", brüllte der Unionsfraktionschef der Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt zu

Berlin. Volker Kauder reagierte am vergangenen Mittwoch als erster. "Das muss gerügt werden! Das ist eine Sauerei!", brüllte der Unionsfraktionschef der Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt zu. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann hatte da gerade in der Aktuellen Stunde Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) als "akademischen Hochstapler und Lügner" angefeindet. Doch oben auf dem präsidialen Stuhl tat sich nichts.CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich mahnte also noch mal lautstark: "Frau Präsidentin!" Wieder reagierte die Grüne nicht. Und das aufreizend gelassen. Hat die Plagiats-Affäre des Verteidigungsministers inzwischen auch die Grenze des Vertretbaren und des Erlaubten im Bundestag verschoben? Zumindest ist sicher, dass das Klima im Parlament schon lange nicht mehr so verpestet gewesen ist wie derzeit. Gift und Galle werden gespuckt.

SPD-Chef Sigmar Gabriel setzte gestern noch einmal eins drauf. Mehrfach seien in der Debatte die Worte Lügner, Hochstapler, Betrüger gefallen. Aber weder habe es einen Ordnungsruf der Vizepräsidentin gegeben, noch "allzu laute Proteste auf Ihrer Seite", deutete er genüsslich im Plenum auf die Union. Weil jeder im Saal wisse, "dass das Tatsachenbehauptungen waren". Dass Gabriel den Vorgang so deutete, sorgte für zusätzlichen Zorn im Regierungslager, sichtbar auch bei Angela Merkel. FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff forderte anschließend eindringlich: "Das ist nicht der Stil, der in diesem Hause stattfinden sollte."

Allerdings ist das wohl eher Wunsch denn Wirklichkeit. Nun ist es nicht so, dass in den letzten Jahrzehnten nicht gepöbelt wurde. "Rotzjunge", "Lümmel", "Brüllaffe", "Übelkrähe" - die Liste der parlamentarischen Entgleisungen ist ellenlang, ganze Bücher sind schon darüber geschrieben worden. Und Joschka Fischers "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein A . . .", ist legendär. Doch in all den Jahren gehörte es auch zu den parlamentarischen Gepflogenheiten, dass man nach dem Schlagabtausch das Gespräch suchte, politische Auffassung und das Miteinander trennte am Rande der Debatte, oder am Abend beim Bier.

Wer derzeit jedoch im Reichstag unterwegs ist, kann anderes beobachten: Die Guttenberg-Affäre, der Umgang der Kanzlerin und der Union damit und die vielen Angriffe der Opposition haben zu einer Atmosphäre des Misstrauens geführt. Viele gehen nur noch schön getrennt ihren Weg, man schüttelt die Köpfe übereinander. "Die spinnen doch", sagt der eine über den anderen.

Die Trennlinie läuft dabei nicht nur zwischen Koalition und Opposition. Auch bei Union und FDP scheint das gegenseitige Unbehagen wieder gewachsen zu sein. Wer in dieser Parlamentswoche die Ohren bei den vielen Abendveranstaltungen offen hielt, der bekam zu hören, was zahlreiche Koalitionspolitiker gerade aus den Reihen der Liberalen über den Verbleib des Ministers im Amt denken, über seine Aufspaltung in fehlerhafter Wissenschaftler und guter Politiker - es sei ein beschämender Verfall der Sitten, der allen Parteien schaden werde, hieß es.

Genau dieser Verfall scheint sich im Bundestag bereits bemerkbar zu machen. Noch, heißt es aus dem Umfeld von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), sehe er keine Veranlassung, mäßigend einzugreifen. Wohl in der Hoffnung, dass sich die Aufregung um die Affäre auch wieder beruhigen wird, wartet Lammert ab. Fragt sich nur, wie lange er wartet.

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