Gift im Spielzeug alarmiert die EU

Brüssel. Die Gefahr ist nicht gebannt. Ein Jahr, nachdem die EU mit ihrer Spielzeug-Richtlinie die Sicherheit für unsere Kinder garantieren wollte, ist das Thema wieder da

Brüssel. Die Gefahr ist nicht gebannt. Ein Jahr, nachdem die EU mit ihrer Spielzeug-Richtlinie die Sicherheit für unsere Kinder garantieren wollte, ist das Thema wieder da. Zuerst fiel es den Forschern im Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf, dann musste auch Bundesverbraucherschutz-Ministerin Ilse Aigner feststellen: Die kleine süße Gummi-Ente im Baby-Bad quietscht nicht vor Vergnügen, sondern weil sie bis zum Rand krebserregende polyzyklische Kohlenwasserstoffe (PAK) enthält. Gestern versprach EU-Industriekommissar Günter Verheugen schon mal rasche Abhilfe. Er hatte die Ende 2008 verabschiedete Richtlinie betreut. Dass bei Spielzeug 1000 Mal höhere PAK-Grenzwerte vorgesehen wurden als für Autoreifen, fiel damals offenbar niemandem auf. Eine der besonders gefährlichen und häufig verwendeten chemischen Mischungen darf laut EU-Papier nur bis zu einer Konzentration von 100 Milligramm pro Kilo im Spielzeug vorhanden sein. Wissenschaftler fanden heraus: Bei dieser Mixtur können Kinder nach einstündigem Hautkontakt ein Vielfaches dessen aufnehmen, was im Rauch von 40 Zigaretten enthalten ist. In einigen Proben fand das BfR sogar bis zu 1000 Milligramm je Kilo. Was ist vor einem Jahr schief gelaufen? Kommissionsvertreter und Europa-Abgeordnete hatten sich wochenlang über andere Fragen gestritten - beispielsweise ob die Kleinteile im "Überraschungs-Ei" von Kindern verschluckt werden könnten. Dagegen feierte man den Verzicht auf eine unabhängige Prüfinstanz für Kinderspielzeug, nachdem die Hersteller vor unbezahlbaren Tests gewarnt hatten. Bis zu 10 000 Euro würde die Prüfung für jeden der jährlich 600 000 neuen Artikel kosten, hieß es. Das hätte dann sechs Milliarden Euro zusätzlich für eine Branche gekostet, die nur 2,3 Milliarden umsetzte. Der TÜV muckte zwar auf: Tests seien erheblich billiger. Zu spät. Inzwischen macht sich dieses Versäumnis bemerkbar. "Die Vorgaben aus Brüssel sehen keine unabhängige Drittprüfung vor", heißt es beim Verband der Technischen Überwachungs-Vereine (VdTÜV). Der Käufer muss sich also darauf verlassen, dass die Höchstbelastungsmarken eingehalten werden. Zumindest die, die die EU damals in die Richtlinie schrieb. Für Fingermalfarben, Knet- oder anderes Spielzeug mit intensivem Hautkontakt gibt es gar keine Vorgaben. Der Blei-Grenzwert wurde sogar erhöht und liegt heute drei Mal so hoch wie bei Blumenerde. Ein unhaltbarer Zustand, findet Isolde Ries, verbraucherpolitische Sprecherin der Saar-SPD. "Für Spielzeug muss die gleiche Sicherheit gelten wie bei Lebensmittelverpackungen", sagt Ries. Bundesverbraucherschutzministerin Aigner will nun erstmal bei der EU eine Novellierung der Richtlinie anstoßen. Verheugen sagte bereits zu, den erschreckenden Test-Ergebnissen aus Deutschland nachgehen zu wollen. Doch das kann dauern: In wenigen Wochen übernimmt eine neue Kommission die Geschäfte und muss sich erstmal einarbeiten. Da erscheint eine Verschärfung der Spielzeug-Richtlinie bis Sommer, wenn die Produkte für das Weihnachtsgeschäft 2010 fertigstellt werden, höchst unwahrscheinlich. Meinung

Rote Karte für die Lobbyisten

Von SZ-Korrespondent Detlef Drewes Es war vor einem Jahr schon absehbar: Nachdem sich herausgestellt hatte, dass CE und GS nur begrenzt als Gütesiegel taugen, hätte sich die EU zu einer zwingenden Überprüfung der Produkte durch unabhängige Experten durchringen müssen. Stattdessen vertraute man den Drohungen der Branche und verzichtete darauf. Nun baden alle den Schaden aus. Dabei ließen sich die krebserregenden PAK-Bestandteile problemlos ersetzen, gibt es neutrale Tests zum Schleuderpreis. Warum Hersteller nicht längst zur Selbstverpflichtung gegriffen haben? Kein Kunde wird das verstehen. Umso dringlicher steht nun eine neue Reform des EU-Gesetzes an. Mit allen notwendigen Verschärfungen. Vielleicht sollte man den Lobbyisten der Branche dieses Mal die rote Karte zeigen: Sie haben die EU, ihre Mitglieder und vor allem die Kleinsten in die unhaltbare Situation geritten. Auf einen BlickEin Hersteller, der sich an die EU-Richtlinien hält, kann sein Produkt mit dem "CE"-Zeichen (Communauté Européenne) versehen. Vergleichbar ist das deutsche Prüfzeichen "GS", das für "Geprüfte Sicherheit" steht. Beide Zeichen sind freiwillig. Zudem gibt es DIN- bzw. EN-Normen, die auch Hinweise auf Sicherheit geben. Die wichtigsten: DIN EN 71-1 (Zusätze A1 bis A8): Artikel ist physikalisch sicher.DIN EN 71-2: Das Produkt wurde auf seine Entflammbarkeit getestet.DIN EN 71-3: Die Bestandteile verdunsten nicht, lassen sich nicht durch Lecken aufnehmen.DIN EN 71-4 (Zusätze A1, A2): Siegel für ExperimentierkästenDIN EN 71-5: Prüfung von chemischem SpielzeugDIN EN 71-7: Prüfsiegel für FingermalfarbenDIN EN71-8: Sicherheit von "Aktivitätsspielzeug" wie Schaukeln DIN EN 50088 (VDE 0700 Teil 210): Prüfung von elektrischem Spielzeugdr

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