Saarbrücken Gewerkschaft will „Airbag“ für Halberg Guss

Saarbrücken · Seit gestern streiken die Beschäftigten des Autozulieferers. Dessen Manager sehen dadurch den Standort Saarbrücken in Gefahr.

 Streikende des Autozulieferers Neue Halberg Guss bei einer Kundgebung der IG Metall gestern in Saarbrücken-Brebach.

Streikende des Autozulieferers Neue Halberg Guss bei einer Kundgebung der IG Metall gestern in Saarbrücken-Brebach.

Foto: BeckerBredel

Der Streik hat seinen eigenen Sound. Ein Mix aus Trillerpfeifen und der heiseren Stimme von Patrick Selzer. Der Gewerkschafter von der IG Metall steht am Donnerstag vor dem Seiteneingang der Turnhalle in Saarbrücken-Brebach. Er hält ein Mikro in der rechten Hand. In der Tonlage variiert Selzer zwischen Vertrauensmann und Einpeitscher. Mit der Frühschicht um sechs Uhr hat beim Autozulieferer Neue Halberg Guss (NHG) ein unbefristeter Arbeitskampf begonnen. Nun ist es Nachmittag geworden. Und Selzer stimmt über 100 Beschäftigte am Basislager der Streikenden auf die nächsten Tage ein. Durch die Boxen dröhnt: „Die ticken nicht sauber!“ Selzer meint das Management der Traditionsgießerei mit Standorten im Saarland und in Leipzig. Auch dort wird gestreikt.

Am Mittwoch hatte die IG Metall die Verhandlungen über einen Sozialtarifvertrag bei der NHG platzen lassen. Die Geschäftsführung plant tiefe Einschnitte. In Saarbrücken könnten 300 der 1500 Beschäftigten ihren Job verlieren. Das Werk in Leipzig mit 600 Angestellten will die NHG bis Ende nächsten Jahres dichtmachen. Mit dem Ende der Frühschicht um 14 Uhr begann die IG Metall mit Urabstimmungen. In der Nacht auf Donnerstag um 1.03 Uhr verschickte Selzer per E-Mail das Abstimmungsergebnis. In Saarbrücken hatten sich 93,9 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für einen Streik ausgesprochen.

Das Management der NHG ließ das Vorgehen der IG Metall zunächst unkommentiert. Am Donnerstag wirft es der Gewerkschaft einen „Kamikaze-Kurs“ vor. „Bislang steht nur die ohnehin schmerzhafte Schließung des Standorts Leipzig an“, erklärt ein Sprecher. Sollten sich jetzt weitere Kunden von der NHG abwenden, sei auch das Werk in Saarbrücken in ernsthafter Gefahr.

Die Arbeitnehmervertreter befürchten längst den Niedergang der NHG. Sie wollen vorsorgen: Das Unternehmen soll eine Transfergesellschaft gründen. Wer seine Stelle verliert, könnte darüber 90 Prozent seines Bruttolohns beziehen, zwölf Monate lang. Außerdem fordert die IG Metall gestaffelte Abfindungen. Zum Streit mit dem Arbeitgeber kam es wegen eines Fonds, über den der Tarifvertrag finanziert werden soll. Verwaltet durch einen Treuhänder, sicher vor einer Insolvenz. Die Gewerkschaft erwartet, dass das Geld in dem Topf für alle 2100 Mitarbeiter ausreicht – nicht nur für die, deren Arbeitsplatz auf der Kippe steht. Das Management beziffert das Volumen auf „mehr als 700 Millionen Euro“. Die IG Metall rechnet mit deutlich weniger. Gewerkschafter Selzer betont: Das Geld sei in dem Fonds nur geparkt. Man könne es dort nicht wegnehmen und in andere Teile der Prevent-Gruppe verschieben, erklärt er.

Im Januar bekam die NHG mit der Prevent-Gruppe überraschend einen neuen Eigentümer. Das bosnische Firmenimperium befehdet sich seit Jahren mit Volkswagen, im März kündigte der Autobauer die Verträge mit mehreren Tochterfirmen. Die Geschäftsbeziehung mit der NHG hält. Wie lange noch? Für die Gießerei, die Motorblöcke und Kurbelwellen herstellt, ist VW der wichtigste Abnehmer. Wird sie ihn wegen Prevent verlieren? Wäre damit das Ende der NHG besiegelt?

Alexander Gerstung tritt seit Monaten dem Eindruck entgegen, Prevent betrachte die NHG als Druckmittel gegen VW. Und schnellen Geldbringer, weil der Automobil-Riese auf den Zulieferer angewiesen ist. Gerstung ist ein bärtiger Manager im blauen Anzug. Titanbrille. Sanfte Stimme. Augen in Metallic Blau. Prevent schickte ihn schon in einige Firmen. Bei der NHG fungiert er jetzt als Geschäftsführer. Anders als deren vorherige Eigner sei Prevent kein Finanzinvestor, erklärt Gerstung. „Wir haben unsere Expertise im Industriebereich, insbesondere bei der Restrukturierung von Unternehmen“, sagte er am Mittwoch nach dem Gespräch mit der Gewerkschaft.

Bei der IG Metall sieht man den Eigentümer der NHG äußerst kritisch. „Die Prevent-Gruppe hat keine eigenen Produkte oder Produktideen“, sagt Jörg Köhlinger, Bezirksleiter der IG Metall Mitte, der am Donnerstag zu den Streikenden nach Brebach gekommen ist. „Ihre einzige Strategie ist, Unternehmen auszuwählen, mit denen sie erpresserischen Druck ausüben können.“ Daher sieht Köhlinger die NHG in einer gefährlichen Situation. Er sagt: „Hier ist ein Unternehmen mit 200 Sachen unterwegs in Richtung Wand.“ Was die Gewerkschaft bieten will, fasst er in das gleiche Bild: „einen Airbag“.

Auf die Bremse tritt am Donnerstag in Brebach noch niemand. Der Arbeitskampf hat erst begonnen. Die Leute ziehen mit. Auch Armand Zinck, 50 Jahre alt, mehr als drei Jahrzehnte im Unternehmen. Normalerweise würde für ihn jetzt die Mittagsschicht beginnen. Er arbeite mit Freude, mit „plaisir“, sagt der Franzose. Doch seine Stimmung trübt sich ein. „Wir müssen jetzt unseren Arsch hinhalten für das, was zwischen Prevent und VW gewesen ist“, sagt Zinck.

 „Halberg Guss muss leben“: Betriebsrat Bernd Geier trägt auf seinem T-Shirt eine klare Botschaft.

„Halberg Guss muss leben“: Betriebsrat Bernd Geier trägt auf seinem T-Shirt eine klare Botschaft.

Foto: BeckerBredel

Ein paar Schritte weiter redet Claude Muller mit seinen Kollegen Patrice Mesili und Heiner Becker. Zusammen mehr als ein Jahrhundert Halberg Guss, sagt Muller. Er wolle nichts mehr schlucken. „Wenn wir all das Geld hätten, auf das wir verzichtet haben, wären wir längst in Rente“, erklärt er. Wäre es ins Unternehmen geflossen, stünde in Brebach eine „Goldgießerei“, so der Arbeiter. An die Adresse der neuen Manager sagt er: „Wenn sie uns ein richtiges Konzept anbieten, gehen wir wieder schaffen.“ So klingt der Streik.

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