Nahost-Konflikt Gewalt im Gazastreifen reißt nicht ab

Tel Aviv/Gaza · Die Palästinenser beklagen die Toten, Israel rechtfertigt derweil die Schüsse an der Grenze. Die Angst vor einer neuen Eskalation wächst.

Gaza trägt Trauer: Nach dem blutigsten Tag in dem Palästinensergebiet seit dem Krieg 2014 begraben die Menschen gestern ihre Toten. Mindestens 60 Palästinenser sind bei Massenprotesten an Israels Grenze von israelischen Soldaten getötet worden, darunter mehrere Minderjährige – während Israel und die USA in Jerusalem die US-Botschaft eröffneten. Der Blutzoll erscheint hoch: An einem Tag allein kamen mehr Menschen ums Leben als in den ganzen sechs Wochen seit Beginn des „Marsches der Rückkehr“ am 30. März.

Die Trauer der Palästinenser über die Toten mischte sich gestern, dem Tag der Nakba (Katastrophe), mit dem Zorn über die Vertreibung und Flucht Hunderttausender Palästinenser im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948. Am Gazagrenzzaun wurde erneut ein Mensch erschossen, wie das Gesundheitsministerium in Gaza mitteilte. Allerdings beteiligten sich nicht so viele Menschen wie am Vortag an den Protesten. Im Westjordanland waren es etwa 1300.

Die Vereinten Nationen kritisierten das Vorgehen der israelischen Armee vom Vortag scharf. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lobte dagegen den „entschlossenen Einsatz“ der Sicherheitskräfte. Die Bundesregierung warf der Hamas Anstachelung zur Gewalt vor.

Am Montag waren nach Angaben der israelischen Armee im Gaza­streifen rund 40 000 Palästinenser an den Grenzzaun zu Israel gekommen. Gewalttätige Demonstranten hätten explosive Gegenstände und Brandbomben auf Soldaten und den Sicherheitszaun geworfen, teilte die Armee mit. Soldaten hätten entsprechend reagiert und auch geschossen.

Ein Auslöser für die Proteste im Gazastreifen war die Eröffnung der US-Botschaft am Montag in Jerusalem, dem 70. Jahrestag der israelischen Staatsgründung. Die Menschen protestieren zudem gegen eine mehr als zehnjährige Blockade des Küstenstreifens durch Israel und Ägypten.

Nach den blutigen Gaza-Protesten blieben wegen eines Generalstreiks gestern alle Geschäfte in den Palästinensergebieten und Ost-Jerusalem geschlossen. Auch Schulen, Universitäten und Regierungseinrichtungen blieben zu sowie arabische Einrichtungen in Israel. Die Flaggen am Amtssitz von Präsident Mahmud Abbas in Ramallah wehten auf halbmast.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan warf Israel einen „Genozid“ vor. Das türkische Außenministerium habe Botschafter Eitan Naeh übermittelt, dass es „angemessen ist, wenn er für einige Zeit in sein Land zurückkehrt“, meldeten die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu und weitere Medien. Damit schien es sich nicht um eine förmliche Ausweisung zu handeln. Netanjahu wies die Kritik Erdogans zurück. „Erdogan ist einer der größten Unterstützer der Hamas, daher gibt es keinen Zweifel, dass er sich gut auskennt mit Terror und Massakern“, sagte Netanjahu. „Ich rate ihm, uns keine Moral zu predigen.“

Das UN-Menschenrechtsbüro kritisierte Israel scharf. Tödliche Gewalt dürfe nur angewendet werden, wenn die Angegriffenen in Lebensgefahr seien. Das sei hier aber nicht der Fall gewesen, sagte der Sprecher des Büros, Rupert Colville, in Genf.

Die Bundesregierung rief Israel auf, beim Einsatz von Gewalt verhältnismäßig vorzugehen. „Die israelische Regierung hat das Recht und sie hat die Pflicht, sowohl (...) die Sicherheit ihrer Bürger, als auch die Sicherheit ihrer Grenzen zu schützen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Der Hamas warf er vor, sie lege es auf eine Eskalation der Gewalt an. „Das ist zynisch.“

Ungeachtet internationaler Kritik will nach den USA auch Guatemala heute seine neue Botschaft in Jerusalem eröffnen. Auch Paraguay will seine Botschaft kommende Woche verlegen, in Honduras gibt es ebenfalls Bestrebungen.

Unter den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats kursierte am Montag der Entwurf für eine gemeinsame Stellungnahme zu der Gewalt, in der auch eine unabhängige Untersuchung gefordert wurde. Die USA blockierten das.

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