Gesetzeslücke öffnet Sekten Tür und Tor

Brüssel. Darf ein Gastwirt künftig die Buchung seiner Räume durch eine extremistische Vereinigung nicht mehr ablehnen? Wenige Monate nach der Präsentation der neuen EU-Richtlinie gegen Diskriminierung sieht das Europäische Parlament tiefgreifende Probleme auf die Mitgliedstaaten zukommen

 Die Scientology-Zentrale in Berlin. Foto: dpa

Die Scientology-Zentrale in Berlin. Foto: dpa

Brüssel. Darf ein Gastwirt künftig die Buchung seiner Räume durch eine extremistische Vereinigung nicht mehr ablehnen? Wenige Monate nach der Präsentation der neuen EU-Richtlinie gegen Diskriminierung sieht das Europäische Parlament tiefgreifende Probleme auf die Mitgliedstaaten zukommen. Der Grund: "Die Kommission hat zwar für religiöse Gemeinschaften Sonderklauseln eingebaut, nicht aber in Fragen der Weltanschauung", erklärt die Fachfrau für die Richtlinie bei der christlich-konservativen EVP-Fraktion, Anja Weisgerber (CSU). So darf sich zwar auch künftig ein "Tendenzbetrieb" wie die katholische oder protestantische Kirche weigern, eine Muslimin als Kindergärtnerin einzustellen. Die deutschen Zeitungen aber werden nicht länger Anzeigen, hinter denen zum Beispiel ein Scientology-Absender steht, ablehnen dürfen, beklagt bereits der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger. Andere gehen gar noch weiter: Auch der Öffentliche Dienst werde nicht länger Mitglieder dieser oder einer anderen Organisation ablehnen können, deren weltanschauliche Einstellung abgelehnt wird oder mit denen man sonst jede Zusammenarbeit verweigern würde. "Das können wir nicht zulassen", sagt Weisgerber.

Der Fallstrick steckt im Artikel 3 der neuen Richtlinie. Er legt ausdrücklich fest, dass nicht nur Benachteiligungen aus Gründen des Alters, der Behinderung, der sexuellen Orientierung und der Religion ausgeschlossen sein müssen. Auch individuelle Weltanschauungen sollen nicht länger zu Diskriminierung führen. Während man für religiöse Institutionen aber eine Ausnahme-Klausel einfügte, gibt es diese bei weltanschaulichen Gruppen nicht. Mit möglicherweise fatalen Folgen, wie den Europa-Parlamentariern langsam klar wird. Zumal bislang noch eine Definition fehlt, was eigentlich unter Weltanschauung verstanden wird oder wer sich gegen eine mögliche Benachteiligung wehren kann.

Damit bekommt die ohnehin schon scharfe Kritik an dem Vorstoß von EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla neue Nahrung. Denn die erste Fassung der Anti-Diskriminierungsrichtlinie trat erst Anfang dieses Jahres in Kraft. In Deutschland gilt das Allgemeine Gleichstellungsgesetz seit August 2006 und bezieht sich lediglich auf den beruflichen und geschäftlichen Bereich. Zu wenig, befanden Sozialdemokraten und Grüne im Straßburger Plenum und forderten Spidla auf, seine Schutz-Gesetzgebung auszuweiten. Die aber greift tief in die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten ein. "Es werden ausschließlich nationale Sachverhalte ohne grenzüberschreitenden Bezug geregelt", heißt es in einem Gutachten des deutschen Centrums für europäische Politik, bekannt durch seinen Vorstand, Alt-Bundespräsident Roman Herzog. Von dort kam auch der erste Hinweis auf die "Weltanschauungslücke". Wenigstens die will man nun in Brüssel schließen.

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