Geplatzte Illusionen und viel zu lernen

Berlin. Eigentlich sind sie in der Politik noch die Frischlinge - doch in der eigenen Partei fühlen sich die Berliner schon als Entwicklungshelfer. Seit einem halben Jahr sitzen 15 Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus. Man habe viel gelernt, wovon auch die Bundesebene profitieren könnte, findet der Parlamentarische Geschäftsführer Martin Delius

Berlin. Eigentlich sind sie in der Politik noch die Frischlinge - doch in der eigenen Partei fühlen sich die Berliner schon als Entwicklungshelfer. Seit einem halben Jahr sitzen 15 Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus. Man habe viel gelernt, wovon auch die Bundesebene profitieren könnte, findet der Parlamentarische Geschäftsführer Martin Delius. Die jetzt ebenfalls im Landesparlament gelandeten Saar-Piraten müssten nicht alle Fehler ihrer Kollegen an der Spree wiederholen, sagt Delius. "Die Saarländer haben direkt bei uns angeklopft - wir werden ihnen beim Aufbau der Fraktion helfen."Doch die Berliner Piraten sind auch ernüchtert. In den ersten Monaten mussten sie bittere Wahrheiten lernen. Von den Mühen und Gepflogenheiten der Parlamentsarbeit hatten sie keine Ahnung, und so gingen manche Illusionen verloren - vor allem beim großen Anliegen, Politik transparent zu gestalten. Jeder Fehler, jedes Skandälchen landete im Netz. Delius selbst bekam das am Wochenende zu spüren. Mit einem unglücklichen Vergleich heizte er die Debatte über das Verhältnis seiner Partei zum Rechtsextremismus an. "Der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933", sagte Delius dem "Spiegel". Später bezeichnete er die Äußerung als "Fehler" und entschuldigte sich. Seine Kandidatur für den Bundesvorstand zog er zurück. "Das Zitat ist mir wirklich so passiert und war der Schlusssatz einer Ausführung zum derzeitigen beispiellosen Wachstum der Partei", erklärte Delius in seinem Blog.

Die beschworene Offenheit wurde zuvor auch beim Umgang mit Rechtsradikalen in den eigenen Reihen zum Fallstrick. Jüngst wurde der Berliner Parteichef Hartmut Semken von drei Piraten zum Rücktritt aufgefordert, weil er sich mit drastischen Formulierungen dagegen gewandt hatte, Piraten mit rechtsradikalem Gedankengut auszuschließen.

Ständig in der Öffentlichkeit zu stehen, das schlaucht die Piraten mehr als erwartet. Semkens Vorgänger gab Ende Februar auf. Er halte den Druck und die "emotionale Belastung" nicht mehr aus. Marina Weisband will aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr politische Geschäftsführerin sein. Der schroffe Ton und die Hemmungslosigkeit vieler Piraten im Netz erschrecken sie.

Im Plenum des Abgeordnetenhauses verstecken sich viele Piraten noch hinter ihren Laptops und posten eifrig im Internet. Erste Zwischenrufe aus ihren Reihen veranlassten den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zu spöttischem Kommentar: "Gibt es einen Netzausfall, oder warum werden Sie plötzlich so lebendig?" Nur bei Kernthemen wie Handydaten-Überwachung oder Staatstrojaner wirken die Beiträge kompetent. Geht es um den enormen Schuldenberg der Hauptstadt, treten die 15 Piraten immer noch eher als Laienschauspieler auf. Wissenslücken offenbarten sie auch in politischen Talkshows - kein Konzept zu Afghanistan oder zum Euro-Rettungsschirm. "Wir haben eben die Fragen, nicht die Antworten", sagt Delius. Sein Kollege Lauer warnte jedoch jüngst im "Stern", Inhaltslosigkeit dürfe nicht zur Masche verkommen. "Irgendwann sind die Leute gelangweilt."

Davon kann bisher keine Rede sein. Im Stern/RTL-Wahltrend lagen sie zuletzt auf Bundesebene bei 13 Prozent. dpa/afp

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