Genuss mit allen Sinnen

Landsweiler. Emma flitzt herbei, begrüßt stürmisch den fremden Gast. Wie einen alten Freund. Sie lächelt - so scheint es. 5200 Kilometer weit war sie die "Frau" an seiner Seite. Eine gewaltige Strecke, die der Journalist Günter Schmitt zusammen mit seiner Beagle-Hündin im Jahr 2010 zu Fuß zurücklegte

 Schmitt herzt seine Emma - die auch unterwegs ihr Lieblingsmahl bekam: Hühnerfleisch mit Möhren und Kartoffeln. Fotos: Iris Maurer

Schmitt herzt seine Emma - die auch unterwegs ihr Lieblingsmahl bekam: Hühnerfleisch mit Möhren und Kartoffeln. Fotos: Iris Maurer

Landsweiler. Emma flitzt herbei, begrüßt stürmisch den fremden Gast. Wie einen alten Freund. Sie lächelt - so scheint es. 5200 Kilometer weit war sie die "Frau" an seiner Seite. Eine gewaltige Strecke, die der Journalist Günter Schmitt zusammen mit seiner Beagle-Hündin im Jahr 2010 zu Fuß zurücklegte. Rund um Deutschland, immer der Grenze entlang: Zehn Jahre nach dem Schengen-Abkommen wollte er wissen, wie die Menschen an den Rändern Europas ticken. Wollte als Grenzgänger Leuten begegnen - und auch sich selbst. Wollte Geschichten erleben - und sie niederschreiben. Wollte Heimat suchen - und finden.Nun, etwa eineinhalb Jahre später, sitzt der ehemalige SR-Moderator am Holztisch seiner behaglichen Küche, schaut durchs Fenster über den baumbewachsenen Garten hinaus in die Ferne. So als breche er im Geiste noch einmal auf, als wandere er dieselbe endlos erscheinende Strecke erneut ab. Kürzlich ist sein Buch darüber erschienen.

Was hat ihn bewogen, sich auf diesen Mammut-Trip zu machen? Braucht man nicht reichlich Mut - dazu noch ohne Navi, das inzwischen zu einem der wichtigsten Instrumente bei der Fortbewegung geworden ist? Und in einer Zeit, in der der Begriff Wandern beinahe volkstümelnd anmutet, in der dafür umso mehr das rastlose Fahren und grenzenlose Fliegen von einem Ort der Welt zum anderen zum Lebensstil gehört? 247 Tage auf Achse, es war "die geilste Zeit meines Lebens", versichert Schmitt. "Wandern, das ist für mich immer noch ein Stück Abenteuer", sagt er, "dazu gehört für mich kein GPS." Die Idee, Deutschland zu umrunden, hegte er schon jahrelang. Den Saarländischen Rundfunk, wo Schmitt im Hörfunk einst unter anderem neben Bernhard Schilling die "Bunten Funkminuten" moderierte, verließ der heute 61-Jährige, der auch mehrere Wander- und Mundart-Bücher veröffentlicht hat, Ende Januar 2010. Der Aufbruch in ein neues, ganz anderes Leben nach einer ausgefüllten Berufszeit hätte holprig werden können - wäre da nicht der alte Traum gewesen. Der begann sich am 20. März 2010 zu erfüllen - als Schmitt von seiner Geburtsstadt Völklingen aus auf Wanderschaft ging. Ehefrau Bernadette, eine Ärztin, hatte den letzten Anschub gegeben, mit dem entschiedenen, aber liebevoll gemeinten Ratschlag: "Tu's endlich oder sprich nie wieder davon". Sie selbst, dem Wandern eher abhold, verabredete sich einige Male mit ihrem Gatten während dessen Grenzwanderung. Reiste etwa an den Rhein und in die Uckermark. Günter Schmitt und Emma pausierten dann für einige Tage. Eile war schließlich nicht geboten, denn ein genaues Zeitlimit gab es nicht. Nicht einmal eine Armbanduhr hatte er dabei. In der übrigen Zeit tauschte sich das Ehepaar per Telefon und E-Mail aus. "Ich hatte nicht wirklich Angst um ihn", versichert Bernadette Schmitt, "er war ja auch nicht auf gefährlichen Wegen unterwegs." Regen Postverkehr gab es auch - Bernadette schickte die benötigten Wanderwege-Karten in jeweilige Hotels, die ihr Mann ansteuerte, und er schickte wiederum Karten zurück, die er nicht mehr benötigte. "Alles Material konnte ich ja nicht mitnehmen", erklärt der 61-Jährige, der an einem 15-Kilo-Rucksack genug zu schleppen hatte. Im Gepäck freilich auch die unverzichtbare technische Ausrüstung, darunter Netbook (unter anderem für ein Internet-Reisetagebuch), Ladegerät, Handy, Fotoapparat - und, nicht zu vergessen, Essens-Rationen und eine Decke für Emma. "Sie ist es gewohnt, dass für sie gekocht wird", sagt Schmitt und hat dazu gleich eine kleine Reise-Episode parat. Als er in einem Restaurant an der deutsch-niederländischen Grenze bestellt, fragt er die Bedienung: "Können Sie meinem Hund was kochen?" Die Kellnerin will nicht glauben, was sie hört. "Was frisst er?", fragt sie. "Am liebsten Hühnerfleisch, klein geschnitten mit geraspelten Möhren, zwei Pellkartoffeln und einem Schuss Sahne." - "Aha." Wie gewünscht bekommt auch Emma ihr Mahl. Am Ende, erzählt Schmitt schmunzelnd, "stand ganz unten auf der Rechnung ,Hund 5 Euro'."

Skurril ist so manche Begegnung auf Schmitts Wanderwegen. So zum Beispiel auf einer Etappe in Richtung Lindau am Bodensee, wo ihm ein jüngerer Mann in oranger Straßenarbeiter-Kleidung und Schubkarre entgegenkommt. An der Muschel, die an einem Lederriemen um seinen Hals hängt, erkennt Schmitt, dass es sich um einen Jakobspilger handeln muss. "Und, wo geht's hin?", fragt er ihn. Der Pilger antwortet: "Isch laafe nach Rom." Der Dialekt kommt Schmitt bekannt vor - gespannt fragt er nach der Herkunft des Mannes. Der klärt ihn auf mit den Worten: "Ei jo, ich bin de Patrick aus Lautere (Kaiserslautern, Anmerkung d. Red.)" - und er sei auf dem Weg nach Rom. In der Schubkarre des Wanderers, die mit einem Holzgestell überdacht ist, erspäht Schmitt zu seiner Verwunderung eine Mischlingshündin. Sie sei nicht mehr gut zu Fuß, meint der Pilger, aber er habe sie nicht zuhause lassen wollen. "Im Dezember", sagt Schmitt kopfschüttelnd, "wollte dieser Mann mit seiner 45 Kilo schweren Schubkarre zu Fuß über die Alpen und dann wieder zurück." Mit "Gottvertrauen", habe Patrick noch gesagt. Ob er den harten Marsch geschafft hat? Schmitt weiß es nicht. Jedenfalls war es die "emotionalste Geschichte, die ich auf meiner Reise erlebt habe".

Anekdoten hat Schmitt zuhauf erlebt, und er erzählt sie mit ausladender Gestik, so als zeichne er mit Armen und Händen die Wege rund um Deutschland nach. Er spricht vom traumhaften Zittauer Gebirge an der deutsch-tschechischen Grenze, vom Westmünsterland und vom Bayerischen Wald. Von Enten, Gänsen und Vögeln, die ihre Umgebung in "Hörlandschaften" verwandeln. Und von Freundschaften, die auf der Reise entstanden sind. "Ich wollte das Ganze mit allen Sinnen genießen. Und ich wollte, dass Emma es ebenso genießt."

 Schmitt mit seinem Buch "Auf vier Pfoten und zwei Füßen".

Schmitt mit seinem Buch "Auf vier Pfoten und zwei Füßen".

Günter Schmitt: "Auf vier Pfoten und zwei Füßen - 5200 km entlang der deutschen Grenze", Gollenstein Verlag Merzig, 16,90 Euro

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort