Genossen in selbstbewusster Routine

Berlin · Die neue SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi wurde am Wochenende mit 88,5 Prozent ins Amt gewählt – trotz der „Abwertung“ durch Sigmar Gabriel. Star des Parteitages war Europawahl-Spitzenkandidat Martin Schulz.

Der große Vorsitzende beliebt zu scherzen. Als er den Parteilinken Ralf Stegner (54) zur Wahl als stellvertretenden SPD-Vorsitzenden empfiehlt, sagt Sigmar Gabriel, "dass der Ralf sich mehr vorgestellt hat". Nämlich Generalsekretär. So rührt man in einer Wunde. Der Vizekanzler kommt dann zu Yasmin Fahimi, die nun statt Stegner diesen Job bekommen soll. Aber nur, so lässt Gabriel durchblicken, weil eine Frau das werden musste. Er stellt die 46-jährige Gewerkschaftssekretärin vor und schiebt plötzlich ein: "So eine wie die Andrea finden wir nicht wieder." Bloß Quotenfrau und dann auch noch schlechter als Vorgängerin Andrea Nahles - das macht den Start für die Seiteneinsteigerin Fahimi nicht eben leichter.

Aber Gabriel, der immer mehr zum Patron der SPD geworden ist, merkt solche Fehltritte nicht mehr. Stegner bekommt bescheidene 78,3 Prozent der Stimmen, Fahimi, die ihre Vorstellungsrede vom Blatt abliest, immerhin 88,5 Prozent. Wegen verschiedener Personalwechsel in die Regierung waren die Nachwahlen und damit der Sonderparteitag in Berlin notwendig geworden.

Star des Tages ist Martin Schulz, der mit geschlossen wirkenden 97,3 Prozent der Stimmen zum Spitzenkandidaten für die Europawahl bestimmt wird. Das, obwohl der 58-Jährige in den über zehn Jahren seit er die deutschen Sozialdemokraten im Europaparlament anführt, immer katastrophalere Ergebnisse eingefahren hat: Erst 21,5, dann 20,8 Prozent. Jetzt will er EU-Kommissionspräsident werden, wie er ankündigt. Es werde ein Europawahlkampf "wie wir ihn noch nie geführt haben".

Noch nie gesehen hätte man beinahe, dass unter den ersten 26 Bewerbern auf der SPD-Liste, also in jenem Feld, das Aussicht auf ein Mandat hat, kein einziger Ostdeutscher gewesen wäre. Das liegt an den niedrigen Mitgliederzahlen in den neuen Ländern. Am Vorabend des Parteitages intervenierte Gabriel und die Liste wurde in letzter Minute neu geordnet. Jetzt sind alle fünf neuen Länder mit je einem Kandidaten aussichtsreich vertreten und auf Platz zehn gibt es sogar eine kleine Sensation. Den bekommt mit Sylvia-Yvonne Kaufmann (58) ein ehemaliges SED- und PDS-Mitglied. Die Berlinerin hat bis 2009 zehn Jahre lang für die Linken im Europaparlament gesessen und sich dann mit ihnen überworfen, weil sie sie für europafeindlich hält. Ihre Kandidatur ist ein Signal: Das Verbot der Aufnahme ehemaliger SED-Mitglieder geht in der SPD offensichtlich zu Ende. Und noch etwas zeigt der Sonderparteitag: Die SPD hat mit dem Gang der Dinge seit der verlorenen Bundestagswahl ihren tiefen Frieden gefunden.

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