Gemeinsam statt einsam
Saarbrücken · Jeder vierte Saarländer ist älter als 65 Jahre. Auch als Senior selbstbestimmt leben, nicht einsam sein und bei Bedarf Hilfe bekommen – das wünschen sich die meisten. Im Saarland leben einige Senioren deshalb nicht in Heimen, sondern in Haus- oder Wohngemeinschaften.
Sofakissen, Häkeldecke, Bilder an den Wänden und Blumen auf der Fensterbank - die Wohnung von Anneliese Prison (88) sieht genauso aus, wie man sich die Bleibe einer alten Dame vorstellt. Bis auf die schulterhohe Kühl-Kombi mit Mikrowelle obendrauf. Direkt neben dem Bett. "Ich habe lieber meinen eigenen Kühlschrank mitgebracht", sagt Prison, eine zierliche Frau mit grauen Löckchen.
Seit dreieinhalb Monaten lebt sie in einer Senioren-Wohngemeinschaft (WG) auf dem Grumbachhof in Saarbrücken-Schafbrücke - eine in Deutschland noch recht junge Wohnform für ältere Menschen. Drei Mitbewohner hat Prison. Alle bewohnen ein eigenes Refugium: zwei Zimmer mit Bad. Teils haben sie Möbel aus ihren vorherigen Wohnungen mitgebracht. Dazu gibt es ein gemeinsames Wohnzimmer mit großem Esstisch, Sofas, Sesseln, Musikanlage und Büchern. Und eine Gemeinschaftsküche. Darin stehen vier kleine Kühlschränke mit Namen darauf. So ähnlich wie in einer typischen Studenten-WG, wo jeder Bewohner sein Fach im Kühlschrank hat. So wie in einer Studenten-WG wohnen auch die Senioren auf dem Grumbachhof zusammen und doch jeder für sich. Die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, ist ihnen dabei sehr wichtig. "Wir gehen uns abends nicht mehr auf die Nerven", sagt Prison und lacht. "Diese Generationen ist halt noch nicht so WG-fähig wie jüngere Menschen", sagt Maria Bender, deren Pflegedienst die Senioren-WG im zweiten Stock des Grumbachhofs betreut.
Brigitte Anwar (64) lebt seit sieben Jahren in der WG. Die etwas nervöse Dame mit dem weißen Kurzhaarschnitt, die am Grumbachhof besonders die Ruhe und die Wälder schätzt, hat sich mit Prison angefreundet. Die beiden gehen viel im Wald spazieren, reden, frühstücken sonntags zusammen. Zuerst sei die vierte Mitbewohnerin, Waltraud Klankert (76), deswegen eifersüchtig gewesen, berichtet Maria Bender. Denn Anwar habe sich immer besonders um die an Demenz erkrankte Klankert gekümmert. Jetzt säßen die drei Damen öfter zusammen im Garten. "Oder wir beiden gucken zusammen ,Gute Zeiten, schlechte Zeiten'", erzählt Anwar. Sie und Klankert halten sich tagsüber oft ein Stockwerk tiefer auf, wo der Pflegedienst eine Tagespflege eingerichtet hat. Dort können die WG-Mitglieder, die sich nicht selbst versorgen, auch frühstücken und Mittag essen.
Werner Jenner (86) ist lieber Selbstversorger. Seit fünf Jahren wohnt er in der WG auf dem Grumbachhof und sagt: "Ich habe mich sofort zuhause gefühlt. Die Gegend gefiel mir sehr." Seine eigene Wohnung sei ihm damals zu groß geworden, die nah bei ihm wohnenden Freunde alle gestorben. Sein Sohn erfuhr aus einer Zeitschrift von der WG. Jenner hilft seinen Mitbewohnerinnen, wo er kann: "Wenn was ist, können die Damen jederzeit bei mir klopfen." Ansonsten bleibt er lieber für sich, wie im Kräutergarten, zwischen Basilikum, dem Liebstöckel und Schokominze. Einen Schwenker gibt es auch. "Ich bin hier mein freier Mann", schildert Jenner sein selbstbestimmtes Leben auf dem Grumbachhof. Allerdings fehle ihm eine regelmäßige Fahrtmöglichkeit über den etwa drei Kilometer langen Weg zur Hauptstraße. Und manchmal hätte er gern noch einen Mann als Mitbewohner: "Zum Skatspielen." Mit den drei Mitbewohnerinnen geht das nicht? "Och, die Damen sind mir dann doch etwas zu alt", schmunzelt Jenner. Tiefe Lachfältchen graben sich um seine Augen hinter der Brille.
In Jenners Scherz steckt ein trauriges Körnchen Realität: Die vier Senioren sind ja tatsächlich um Jahrzehnte älter als die meisten Studenten, die sich in einer WG begegnen. Wenn jemand die Gemeinschaft auf dem Grumbachhof verlässt, dann nicht, weil sich jemand mit dem ersten Job nach dem Abschluss eine eigene Wohnung leisten kann oder in eine andere Stadt zieht. Sondern wegen Krankheit, höherem Pflegebedarf oder Tod. "Jeder weiß, dass er mal gehen muss", so Bender. "Damit müssen unsere Bewohner hier eben auch fertig werden."
Wie viele private Senioren-WGs, die nicht direkt an einen Pflegedienst angeschlossen sind, es im Saarland gibt, ist unklar. Sie werden von keiner offiziellen Stelle erfasst. Auch Lothar Arnold, Vorsitzender des Seniorenbeirates Saarbrücken , kennt keine - und derzeit auch kein Mehrgenerationen-Projekt, in dem Jung und Alt zusammenwohnen. "In Neunkirchen gibt es dafür Ansätze", berichtet er. "In Saarbrücken sind die Projekte ,Im Wittum' und ,Mühlenviertel' im Aufbau."
Im Saarland bewegt sich aber noch mehr in Sachen neues Senioren-Wohnen: Auf eine andere Form der Senioren-WG als im Grumbachhof setzt zum Beispiel die Stiftung Hospital in St. Wendel: In kleinen Wohngruppen leben betreute Senioren in einem Appartementhaus mit festem Tagesablauf. Die Stiftung Hospital Theley macht es ähnlich. Der Verein Galia hat in Saarbrücken ein Haus mit 16 Eigentums-Wohnungen eingerichtet. Ein Pflegedienst biete den Senioren im Haus regelmäßig Sprechstunden an.
Die vier WG-Mitglieder am Grumbachhof finanzieren ihre jeweilige Grundmiete von 400 Euro inklusive Nebenkosten mit ihrer Rente. Zusätzliche Hilfe ist für jeden individuell organisiert - wie ein Sozialbeistand für Anwar oder eine private Putzhilfe für Prison. Werner Jenner will selbst putzen, solange er kann. Aber jetzt ist erstmal das Mittagessen dran, das er sich in der Gemeinschaftsküche kocht: Pellkartoffeln mit Hering.
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auf einen blickWer sich informieren möchte, welche Wohnformen im Alter es im Saarland gibt, kann sich an einen der acht Pflegestützpunkte im Saarland wenden. Einzelne Wohnprojekte finden Interessierte zum Beispiel unter diesen Internet-Adressen: galiasaar.wordpress.comwohnen-mittendrin.deleben-im-muehlenvier-tel.de