Gemeinsam gegen Russland

Brüssel · Kaum war der Putin-Besuch in Berlin vorüber, stand für Kanzlerin Angela Merkel schon wieder Russland auf der Agenda: Der EU-Gipfel in Brüssel schoss sich geschlossen gegen Moskau ein – und droht mit harten Strafen.

Es ist die Wut im Bauch, die alle zusammenschweißt. "Was in Aleppo passiert, ist unmenschlich", betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern in Brüssel . Da hatte das Gipfeltreffen der 28 EU-Staats- und Regierungschefs noch gar nicht angefangen. "Die russische Aggression darf nicht hingenommen werden. Wir brauchen mehr Druck auf Russland", unterstrich die neue britische Premierministerin Theresa May, als sie am Abend eintraf.

Dass Präsident Wladimir Putin kurz zuvor die Waffenruhe bis Samstag verlängert hatte, konnte niemanden beeindrucken. "Wir wollen schnellstmöglich einen dauerhaften Waffenstillstand, nicht nur für Stunden", sagte Merkel. Die Delegationen der Regierungschefs hatten in der Zwischenzeit schon die Schlusserklärung nachgebessert und aufgeschrieben, mit welchen Sanktionen die EU Druck machen könnte: Sollten die Grausamkeiten um Aleppo nicht gestoppt werden, will die Union die Führungsclique rund um den syrischen Präsidenten Baschar-al-Assad sowie die Unterstützer Syriens mit Einreiseverboten belegen und deren zum Teil erhebliches Vermögen auf europäischen Banken einfrieren. Russland wird ausdrücklich als einer der Verbündeten genannt, der mit den Strafen getroffen werden soll. Im Angesicht der Bedrohungen von außen findet die EU wohl eine neue, überraschende Geschlossenheit wieder.

Zu diesem Eindruck passte auch das Echo auf den ersten Auftritt der Britin May. Mehr aus protokollarischen Gründen habe man ihr beim Abendessen einen "Info-Point" zugestanden, also die Möglichkeit, zu den Kolleginnen und Kollegen zu sprechen. Dabei war das, was May auf ihrem Sprechzettel hatte, schon vorher durchgesickert. Erstens: Der Brexit ist eine beschlossene Sache, eine neue Abstimmung gibt es nicht. Zweitens: Großbritannien will auch nach dem Brexit starke Beziehungen zur EU pflegen. Drittens: In den Gesprächen solle das bestmögliche Ergebnis für beide Seiten erreicht werden. Es blieb ein frostiger Auftritt der Britin - aus erzieherischen Gründen. Auch da funktionierte die Geschlossenheit.

Dabei war zu diesem Zeitpunkt am späten Abend noch offen, ob die Staats- und Regierungschefs wenigstens ein konkretes Ergebnis vorlegen können, wenn sie heute wieder auseinandergehen. Parallel zum Gipfel mühten sich Vertreter aller politischen Ebenen, die störrischen Wallonen im belgischen Süden weichzuklopfen, damit diese dem Ceta-Freihandelsabkommen mit Kanada doch noch zustimmen. Heute Vormittag wollen die Staats- und Regierungschefs versuchen, die "Kuh vom Eis zu kriegen", wie Belgiens Premier Charles Michel es ausdrückte.

Meinung:

Nur nach außen geschlossen

Von SZ-Korrespondent Detlef Drewes

Die EU nimmt Russland ins Visier. Alle diplomatischen Versuche, Moskau zu einem Ende der Bombardements auf Aleppo zu bewegen, scheinen bisher gescheitert. Die Union hat angesichts dieser Katastrophe, deren Folgen sie in Form der Flüchtlingswellen selbst zu spüren bekommt, ihre Geschlossenheit wiedergefunden. Und auch die einheitliche Front, gegen die die britische Premierministerin Theresa May gestern mit ihrem Statement zum Brexit anzulaufen versuchte, zeigt vor allem eines: Die EU findet zwar im Zeichen außenpolitischer Herausforderungen zueinander, scheint aber - zumindest derzeit - nicht in der Lage, ihre eigenen inneren Fragen zu klären. Wenn die Geschlossenheit auf der einen Seite nicht auch zum Zusammenwachsen auf der anderen führt, bleibt die Gemeinschaft aber Stückwerk. Und nicht wirklich in der Lage, die kommenden Probleme zu lösen. Das könnte sich bei den anstehenden Herausforderungen noch als überaus gefährlich herausstellen.

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