Geleitschutz zum Horn von AfrikaAuf der Suche nach einer Strategie gegen Piraterie

Hamburg. Vor seinen jüngsten Fahrten durch den Golf von Aden war Kapitän Wouter van der Linden schon etwas mulmig zumute. Natürlich seien ihm die zunehmenden Piratenangriffe vor der somalischen Küste durch den Kopf gegangen, sagt der im emsländischen Lathen wohnhafte Niederländer. "Aber meine Frau macht sich viel mehr Sorgen als ich

Hamburg. Vor seinen jüngsten Fahrten durch den Golf von Aden war Kapitän Wouter van der Linden schon etwas mulmig zumute. Natürlich seien ihm die zunehmenden Piratenangriffe vor der somalischen Küste durch den Kopf gegangen, sagt der im emsländischen Lathen wohnhafte Niederländer. "Aber meine Frau macht sich viel mehr Sorgen als ich." Er selbst sei an Bord beschäftigt und dadurch abgelenkt. Wenn der 49-Jährige an Ostersonntag das nächste Mal in See sticht, geht es mit dem Frachter "Christina Scan" zunächst nach England und Russland, bevor er Kurs auf den Suezkanal nehmen und anschließend erneut den Golf von Aden durchqueren wird.

Van der Linden steuert auf dem Weg zwischen Europa sowie dem Mittleren und Fernen Osten das Schiff regelmäßig durch die Gewässer am Horn von Afrika, ungefähr einmal im Monat. Gemeinsam mit seiner elfköpfigen Crew bereitet der 49-Jährige sich dann jedes Mal so gut wie möglich auf potenzielle Angriffe vor. Zum Beispiel hängen sie Schläuche über die Reling, um herankommende kleine Boote unter Wasser zu setzen. Und sie schließen sämtliche Türen des fünfstöckigen Schiffsaufbaus von innen ab, in dem sich Brücke, Kombüse, die anderen Arbeits- und Wohnräume befinden. Piraten sollen nicht ohne Weiteres eindringen können. "Es geht darum, jede Minute herauszuholen, damit die Marine Zeit hat, ihre Hubschrauber zu starten und zu helfen", sagt van der Linden. Mehr als diese "Verzögerungstaktik" könne seine Besatzung nicht leisten. "Eine richtige Verteidigung wäre mit Waffen", aber die dürften Handelsschiffe ja nicht an Bord haben. Das sollten "die Profis" machen, ergänzt er mit Blick auf die Marine. Das sieht auch der Verband Deutscher Reeder so, der weder von einer Crew-Bewaffnung noch vom Einsatz bewaffneter Sicherheitskräfte an Bord etwas hält, da dies das Risiko einer Eskalation berge.

Die Präsenz von Kriegsschiffen am Horn von Afrika habe dagegen schon "zu einer deutlich größeren Sicherheit geführt", sagt Max Johns vom Reederverband. So seien Frachter, die in den empfohlenen Transit-Gruppen den gesicherten Ost-West-Korridor durchquert hätten, ungefähr seit Jahresbeginn nicht mehr überfallen worden. Auch Schiffe, die von Nord nach Süd unterwegs seien und sich bei der EU-Mission "Atalanta" anmeldeten, bekämen so "eine gewisse Sicherheit". Um die Schiffsbesatzungen vorzubereiten, übten die deutschen Reedereien zudem regelmäßig, was bei einem Piratenangriff zu tun sei. Neben dem Rückzug in das Brückenhaus gehe es daneben auch um "Ausweichmanöver", sagt Johns. Dabei fahre das Schiff entweder mit voller Kraft, um die Seeräuber abzuhängen, oder es erzeuge Wellen, die die Piratenboote in Bedrängnis bringen sollen.

Diese Manöver gehören für den Niederländer van der Linden nach rund 23 Berufsjahren zum Standardrepertoire. Um frühzeitig auf nahende Boote reagieren zu können, verstärkt er im Golf von Aden den Ausguck, lässt also rund um die Uhr zusätzliche Männer von der Brücke aus Ausschau nach Piraten halten. Als "beruhigend" empfand er im Februar eine seiner letzten Durchfahrten durch den dortigen Korridor. Gemeinsam mit anderen Schiffen habe der 6000-Tonnen-Frachter "Christina Scan" das Gebiet unter dem Schutz der deutschen Fregatte "Rheinland-Pfalz" durchquert. "Das hat sehr gut funktioniert, wir haben uns wirklich sicher gefühlt", schwärmt der Kapitän. Beim nächsten Mal im März habe es dann "keinen Geleitzug, aber Schutz auf Abstand" gegeben. "Man fragt sich dann natürlich, werden sie rechtzeitig hier sein, falls was passiert?" Aber das sei sein "Berufsrisiko", sagt Wouter van der Linden. Dennoch liebt er seine Arbeit. "Gäbe es keine Piraterie, wäre es der beste Beruf der Welt." Washington. Die mächtigste Marine-Streitmacht der Welt mit einem 800 Millionen Dollar teuren Zerstörer gegen vier somalische Piraten in einem schaukelnden Rettungsboot. So beschreibt gestern die "New York Times" die derzeitige Situation im Indischen Ozean - und die erste Herausforderung an Barack Obama als Manager einer akuten Krise. Doch während die Zeitungen des Landes das Piraten-Drama, das gegen die Kriege im Irak und Afghanistan als Nichtigkeit erscheinen könnte, auf ihren Titelseiten behandeln und Fernsehsender wie CNN oder Fox Live-Schaltungen zum Haus und zu den Nachbarn des gekidnappten "Maersk Alabama"-Kapitäns Richard Phillips im Bundesstaat Vermont vornehmen, hält sich der Präsident im Hintergrund.

Wie es aussieht, überlässt er die Regie einem Krisenstab für maritime Sicherheit. Die Aussagen von Obamas Kabinettsmitgliedern lassen den Eindruck entstehen, dass zum einen verbal Härte demonstriert werden soll, zum anderen jedoch auch das Augenmerk der Sicherheit des Kapitäns gilt, dessen Fluchtversuch gestern scheiterte. Der Präsident verfolge die Situation, und seine Sorge gelte vor allem Kapitän Phillips und der Crew, so Obamas Sprecher Robert Gibbs am Donnerstagabend. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht publik geworden, dass bereits ein gutes Dutzend Elitesoldaten der "Navy Seal"-Einheit an Bord der "Maersk Alabama" die Sicherung übernommen hatten. Piraterie sei ein jahrhundertealtes Problem, so Außenministerin Hillary Clinton, für das man nun eine "angemessene Antwort des 21. Jahrhunderts" suche. Weitere Kriegsschiffe sind in das Krisengebiet ebenso unterwegs wie Verstärkung für die Piraten, eine Eskalation scheint nicht ausgeschlossen.

Mit Kanonen auf Spatzen

Ein allzu aggressives Vorgehen - wie das vorsorgliche Versenken verdächtiger Piratenboote - könnte international jedoch den Eindruck erwecken, hier schieße die Weltmacht USA mit Kanonen auf Spatzen. Deshalb halten auch seit Donnerstag in Geiselnahmen erfahrene Verhandler des FBI mit den Piraten über den US-Zerstörer USS Bainbridge Kontakt.

Ungewiss ist auch noch das Schicksal der fünf Deutschen, die sich zusammen mit 19 anderen Seeleuten auf dem gekaperten Frachter "Hansa Stavanger" befinden. Medienberichten zufolge hat die Bundesregierung eine Befreiung der "Hansa Stavanger" durch die Eliteeinheit GSG 9 erwogen. Laut "Focus" kam die Aktion aber wegen eines Zuständigkeitsstreits zwischen dem Bundesinnen- und dem Verteidigungsministerium nicht zustande. Der norwegische Chemie-Tanker "Bow Asir" kam hingegen am Freitag wieder frei. Alle Besatzungmitglieder waren unversehrt. Das Schiff war am 26. März von Piraten gekapert worden. "Ohne Piraten wäre es der beste Beruf

der Welt."

Kapitän Wouter van der Linden über

seine Arbeit

Hintergrund

Bei der Befreiung von fünf Franzosen aus der Hand somalischer Piraten sind am Freitag eine der Geiseln und zwei Seeräuber getötet worden. Die drei anderen Piraten seien von französischen Truppen überwältigt worden, teilte der Präsidentenpalast in Paris mit. dpa

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