Proteste Die lange Tradition des Widerstands in Frankreich

Paris · Aus Protest gegen Steuererhöhungen, wirtschaftliche Ungleichheit und realitätsfremde Herrscher randalieren französische Arbeiter in den Straßen. Was stark an die aktuellen Ereignisse in Paris erinnert, spielte sich bereits 1789 ab: Damals verhalf König Ludwig XVI. den Reichen zu Steuerbefreiungen und bezahlte dafür mit seinem Kopf.

Einige Parallelen zeigen sich heute zur Lage des unbeliebten Staatspräsidenten Emmanuel Macron, dem Kritiker vorwerfen, ein „Freund der Reichen“ zu sein. Zwar hat die Demokratie die Monarchie abgelöst, aber an der Protestkultur der Bevölkerung auf den Straßen von Paris hat sich nur wenig geändert.

Widerstand ist schlicht deshalb ein wiederkehrender Teil der französischen Geschichte, weil er so häufig erfolgreich war. Selbst das Stadtbild von Paris wurde angelegt, um nach den Revolutionen des 19. Jahrhunderts, die Monarchen gestürzt hatten, neue Massenproteste zu verhindern. „Der Gründungsmoment der politischen Geschichte Frankreichs war die Revolution“, erklärt Soziologe Michel Wieviorka. „Seitdem kommuniziert das französische Volk durch Protest direkt mit den Mächtigen, wenn auch nicht unbedingt auf so blutige Weise.“

Vor 50 Jahren errichteten Studenten der Sorbonne-Universität Barrikaden, um gegen den Status quo zu protestieren. Die Gewalt, mit der die Behörden 1968 vorgingen, brachte französische Arbeiter auf die Straße. Unter dem Druck des wachsenden Widerstands knickte die Regierung schließlich ein. Der Aufstand führte zu einem Anstieg des Mindestlohns um 35 Prozent und Gehaltssteigerungen von zehn Prozent. Erneute Massendemonstrationen brachten 1986 eine geplante Hochschulreform zu Fall, 1995 lief es ähnlich mit einer Rentenreform und 2006 mit einer vorgesehenen Senkung der Tariflöhne für Berufseinsteiger.

Wegen der Revolutionen von 1830 und 1848 und zahlloser Aufstände ist der Protest unauslöschlicher Bestandteil der französischen Psyche. Schriftsteller Victor Hugo machte die Tumulte nach der Revolution 1830 in seinem Roman „Les Misérables“ („Die Elenden“) unsterblich.

Aus Angst vor solchen Protesten ließ Napoleon III. später die notorisch engen Straßen von Paris umgestalten. Die neuen sternenförmig angeordneten Prachtstraßen sollten die Errichtung von Barrikaden verhindern, die Soldaten zuvor den Zugang zu Demonstranten versperrt hatten. Doch die an Protesten reiche Geschichte des Landes hat alle Versuche überstanden, Aufstände zu vereiteln. Das haben auch die „Gelbwesten“ gezeigt, die nun die Champs-Élysées auseinandernahmen: Sie stellten noch immer Barrikaden auf.

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