Gelbem Engel droht Totalschaden

München · Er war über Jahrzehnte die moralische Instanz der Autowelt: der ADAC. Doch nach dem Schummelskandal bei der Lieblings-Auto-Wahl ist der gute Ruf schwer angekratzt. Da hilft es wenig, dass es einen Sündenbock gibt.

Zerknirscht tritt Karl Obermair ans Mikro. Allein. Der Atem geht schwer. Es ist wahrlich kein schöner Tag für ihn, hier, in der schicken Konzernzentrale des Allgemeinen Deutschen Autofahrer-Clubs (ADAC) in München. Doch vom Glamour, den der 320-Millionen-Euro-Bau sonst versprüht, ist heute nichts zu spüren. Denn dem einst so seriös wirkenden Autoclub droht ein Totalschaden. Und Geschäftsführer Obermair muss dafür jetzt geradestehen. "Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass eine solch dreiste Manipulation möglich ist", sagt er. Er spricht von "unverzeihlichen Fehlern" und verspricht, alles "lückenlos" aufzuklären. Was dann folgt, ist eine Fülle an Entschuldigungen. Nur eines fehlte bei dieser Kapitulation: der eigene Rücktritt.

Dafür sieht Obermair keinen Grund. Es gebe "einen Hauptverantwortlichen". Gemeint ist der ehemalige ADAC-Kommunikationschef und Chefredakteur der "ADAC-Motorwelt" Michael Ramstetter. Einen Tag nach der Verleihung des "Gelben Engel" hatte Ramstetter in einem "vollumfänglichen Geständnis" eingeräumt, jahrelang "in einer unglaublich dreisten Weise" Zahlen bei der Wahl des "beliebtesten Autos" manipuliert zu haben, sagt Obermair. Am Freitag um exakt 9.56 Uhr habe Ramstetter ihm das gebeichtet und mitgeteilt, er habe das auch schon in früheren Jahren getan, berichtet Obermair in der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. Er will die Wogen glätten.

Doch das kann dauern. Denn der Skandal schlägt deutschlandweit hohe Wellen. Auch Bundesverbraucherschutzminister Heiko Maas (SPD) schaltete sich gestern ein. Gegenüber unserer Zeitung erklärte er, die "Mitglieder des ADAC haben einen Anspruch auf umfassende Aufklärung und Aufarbeitung" der Manipulations-Vorwürfe. Maas fürchtet, dass das Vertrauen der Autofahrer durch die Schummeleien gelitten hat.

Was das bedeutet, zeigte sich ebenfalls gestern. Kritiker nahmen erste Tests und Umfragen, die der ADAC jährlich in großer Menge publiziert, genauer unter die Lupe. Ihnen ist egal, dass Obermair diese Informationen als "hundertprozentig sicher und richtig" deklariert. Die Wahl des Lieblings-Autos sollte ja auch "in einem manipulationsfreien Verfahren" (ADAC-Pressemitteilung) ablaufen. Die "FAZ" erinnerte beispielsweise daran, dass der Dacia Logan 2005 bei einem ADAC-Test als "Billigflieger aus Rumänien" durchgefallen sei. Tatsächlich aber habe sich das Billigauto überschlagen, nachdem ein Reifen durch ein Ersatzrad ersetzt und dadurch die Fahreigenschaften verschlechtert worden seien, was die ADAC-Tester zunächst verschwiegen hätten.

Horst Seehofer erklärte gestern, er habe sich auch über andere Zahlen in der Vergangenheit gewundert. "Im Zusammenhang mit der Maut hab ich mich immer gefragt, wie man zu solchen Schlussfolgerungen kommen kann", sagte der CSU-Chef. Seine Partei habe immer andere Zahlen etwa zum voraussichtlichen finanziellen Ertrag aus der Maut gehabt.

Am weitesten ging Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer mit seiner Kritik. Der Professor der Universität Duisburg-Essen forderte eine Zerschlagung des kompletten ADAC - in einen Pannenservice und ein Wirtschaftsunternehmen. Der "Verein" sei gerade letzteres. Über eine Milliarde Euro nahm der Autofahrerclub 2012 allein an Beiträgen seiner rund 19 Millionen Mitglieder ein. Eine weitere Milliarde steuerten Tochtergesellschaften bei, vor allem die Versicherungen, Finanzdienstleistungen und Autovermietung wuchsen kräftig. Eine weitere halbe Milliarde kam von den Regionalgesellschaften. Nach Abzug der Kosten etwa für die Pannenhilfe erwirtschaftete der ADAC 167 Millionen Euro Gewinn. Das Anlagevermögen erreichte zuletzt 1,94 Milliarden Euro, das Eigenkapital gut eine Milliarde Euro.

Ins Visier der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg sind dabei die Kosten für den Pannenservice geraten. "Wenn man einem Automobilclub nur wegen des Schutzbriefes beitritt, sind die Leistungen der Versicherungen in der Regel die günstigere Alternative", rät Versicherungsexperte Peter Grieble. Versicherungen berechneten für den einschlägigen Baustein oft nur "ein paar wenige Euro. Mitgliedschaften in Automobilclubs können deutlich teurer sein."

Es gibt derzeit also viel zu tun, für Obermair und Co., um das ramponierte Image des ADAC wieder in Ordnung zu bringen. All das kriegt der zum "Bösewicht" auserkorene Ramstetter nur aus der Ferne mit. "Bild" lichtete ihn am Wochenende ab, wie er seine Koffer in seinen Mercedes Benz hievte und davonbrauste, auf Reisen - oder in Deckung. Ziel unbekannt. Zurück lässt Ramstetter rund 8600 Mitarbeiter des ADAC. Voller "Empörung, Wut und Fassungslosigkeit", sagt Obermair.

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