Gekommen, um zu bleiben

Auf ihrem Schreibtisch in der Berliner CDU-Parteizentrale stand einst ein Bild von Katharina der Großen, der Deutschen auf dem Zarenthron. Dazu immer frische Blumen. Hinter ihr an der Wand hing ein Porträt von Konrad Adenauer, dem ersten Bundeskanzler, so wie jetzt auch in ihrem Büro im Kanzleramt

Auf ihrem Schreibtisch in der Berliner CDU-Parteizentrale stand einst ein Bild von Katharina der Großen, der Deutschen auf dem Zarenthron. Dazu immer frische Blumen. Hinter ihr an der Wand hing ein Porträt von Konrad Adenauer, dem ersten Bundeskanzler, so wie jetzt auch in ihrem Büro im Kanzleramt. Angela Merkel hat sich stets in mehreren Rollen gesehen - anfänglich als Aufklärerin wie Katharina und als Gründerin einer neuen Zeit wie Adenauer. Folgerichtig sagt sie inzwischen über sich selbst: "Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial." Zehn Jahre ist die 55-Jährige jetzt Parteivorsitzende. Und die Frage, die sich stellt, ist: Was hat Merkel aus der CDU gemacht - und was die Partei aus ihr? Am 10. April 2000, als sie mit 95,9 Prozent der Stimmen gewählt wurde, stand beim Parteitag in Essen jemand auf der Bühne, der ziemlich viele Zumutungen in sich vereinte für eine von Männern dominierte Union; für eine damals besonders stark rheinisch-katholisch geprägte Partei. Frau, Protestantin, ostdeutsch, kinderlos, geschieden und erneut verheiratet. Sie war für den Übergang gedacht, nachdem sie die Christdemokraten im Spendensumpf von ihrem Übervater Kohl befreit und anschließend Wolfgang Schäuble entthront hatte. Heute muss man sagen: Die Herren in der CDU haben ihr Bild von Merkel nicht wirklich revidiert. Insgeheim glaubt jeder, er könne es besser. Aber Merkel hat die "Kerle" beharrlich ausgehalten, dabei nüchtern auf ihre Möglichkeiten geschaut und Merz, Stoiber, Rüttgers, Koch oder Wulff meist klug ausmanövriert. Sie ist so geworden, wie die anderen immer sein wollten: nervenstark, ein kühler Machtmensch, zupackend, wenn es sich lohnt, aber nicht wirklich festzunageln. "Sie mag Macht. Und sie mag es auch, unterschätzt zu werden, weil das der beste Weg ist, Macht zu festigen", hat einmal ihre Vertraute Annette Schavan gesagt. Wie groß ihre Macht ist, zeigt auch dies: Das US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" kürte die Bundeskanzlerin in den Jahren 2006, 2007, 2008 und 2009 zur mächtigsten Frau der Welt.Furcht vor "Mutti"Emotionen oder weibliches Feingefühl findet man bei dieser Angela Merkel nicht mehr. Auf dem Parteitag in Stuttgart vor zwei Jahren schenkte ihr der damalige Ministerpräsident Günther Oettinger einen "Fischertechnik"-Baukasten - blödes Männer-Spielzeug, man sah es Merkels entglittenen Gesichtszügen an. Bezeichnend war das aber für das Bild, das die "MP-Riege" von der Vorsitzenden hat. Heute nennt sie fast jeder "Mutti". Was spöttisch klingen soll, zeugt in Wahrheit von großem Respekt - gepaart mit ein bisschen Furcht. Merkel wurde am 17. Juli 1954 in Hamburg geboren. Kurz darauf übernahm ihr Vater eine Pfarrei in Brandenburg. Sie studierte in Leipzig Physik und promovierte 1986 über die "Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden". Die Beschäftigung mit der Naturwissenschaft, so heißt es über Merkel, habe ihr auch einen sachlichen und kühlen Blick auf die Politik verschafft. Merkels Persönlichkeit, ihr Pragmatismus, ihre fehlenden Grundlinien, das hat auch die CDU verändert. Früher hatte die Partei eine Seele. Unter dem Dach des sich sorgenden Patriarchen Kohl herrschte Geborgenheit. Merkel kümmert sich nicht wirklich um die CDU, sie simst viel mit dem Handy, wenn es um das tägliche Regierungsgeschäft geht. Aber dass sie wie der Oggersheimer den Kontakt bis in die Kreisverbände pflegt, um die Partei zu lenken, um zu spüren, wie die Basis tickt, ist nicht ihre Sache. Dazu ist sie auch zu wenig verankert in der Union. Modern oder profillos?Das wiederum hat es ihr erleichtert, die CDU der Macht wegen in den vergangenen Jahren umzukrempeln, und manchem aus der Stammwählerschaft vor den Kopf zu stoßen: Katholiken, Vertriebenen, all den Konservativen, denen es zu wenig ist, dass Merkel von Werten spricht, aber nur die Soziale Marktwirtschaft meint. Inhaltlich hat sie der Union zudem eine gänzlich neue Familienpolitik verordnet, vermutlich Merkels größte Revolution. Modernisierungskurs nennen ihre Getreuen dies, Profillosigkeit ätzen die Gegner. Im Umklammern unionsfremder Inhalte findet sich aber der Grund ihres Erfolges. In Zeiten, in denen die klassischen Milieus verschwimmen, öffnen sich so für die CDU neue Wählerschichten und neue Konstellationen. Die Debatte um Schwarz-Grün zeugt davon. Die Union ist die letzte Volkspartei mit 30 Prozent plus X der Stimmen, das reicht Merkel für die Macht, sie braucht nicht mehr. Stammwähler sind wichtig, aber in den neuen Zeiten eben nicht überlebenswichtig. Kanzlerschaft und Parteivorsitz sind eng miteinander verbunden - verliert Merkel das eine, beispielsweise bei der Bundestagswahl 2013, wird der Verlust des anderen folgen. Aber sie könnte irgendwann auch sagen: Jetzt ist genug, ich koche nur noch meine berühmte Kartoffelsuppe im Ferienhaus bei Templin, schlafe aus und halte gut bezahlte Vorträge. Noch sind die Blicke auf die CDU-Ministerpräsidenten gerichtet, wenn es um die Nachfolge geht. Es gibt aber eine neue Reihe der Unionspolitiker, die Merkel protegiert und geprägt hat, die ihr Verständnis von Politik ohne große Bindung teilen. Sie heißen Röttgen, von der Leyen, Pofalla, Gröhe. An ihnen muss künftig jeder in der Partei vorbei, der etwas werden will - in "Muttis" neuer CDU.

Auf einen BlickDer politische Weg von Angela Merkel:1990: ab März Vize-Sprecherin der DDR-Regierung von Lothar de Maizière, CDU-Beitritt im August.1991-1998: zunächst Bundesministerin für Frauen und Jugend, ab 1994 für Umwelt unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) 1993-2000: Landesvorsitzende der CDU Mecklenburg-Vorpommern 1998-2000: Generalsekretärin der CDU unter Interimsparteichef Wolfgang Schäuble 1999: Distanzierung von Altkanzler Kohl wegen der CDU-Spendenaffäre 2000, April: Wahl zur Bundesvorsitzenden der CDU2002, Januar: Verzicht auf Kanzlerkandidatur zugunsten von CSU-Chef Edmund Stoiber2004, März: Durchsetzung von Horst Köhler als Bundespräsident-Kandidat 2005: Wahl zur Bundeskanzlerin einer großen Koalition 2007: Gastgeberin des G8-Gipfeltreffens in Heiligendamm mit Schwerpunktthema Klimaschutz 2009: nach der Bundestagswahl im September erneute Wahl zur Bundeskanzlerin, Bildung einer Regierung aus CDU/CSU und FDP. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Angela MerkelNur Konrad Adenauer und Helmut Kohl hielten sich länger an der Spitze der CDU: Vor zehn Jahren, am 10. April 2000, übernahm Angela Merkel den Parteivorsitz. Die in Ostdeutschland aufgewachsene Pfarrerstochter hat sich und die Union verändert.
Angela MerkelNur Konrad Adenauer und Helmut Kohl hielten sich länger an der Spitze der CDU: Vor zehn Jahren, am 10. April 2000, übernahm Angela Merkel den Parteivorsitz. Die in Ostdeutschland aufgewachsene Pfarrerstochter hat sich und die Union verändert.
Aus dem Ressort
Schreibfreudig!Schreibfreudig sind sie, die Mädchen und Jungen der Klassen 4a und 4b der Professor-Ecker-Grundschule in Saarlouis-Lisdorf. Heute sind Artikel der Klasse 4a zu lesen, die im Rahmen des Projektes "Zeitung in der Grundschule" entstanden.
Schreibfreudig!Schreibfreudig sind sie, die Mädchen und Jungen der Klassen 4a und 4b der Professor-Ecker-Grundschule in Saarlouis-Lisdorf. Heute sind Artikel der Klasse 4a zu lesen, die im Rahmen des Projektes "Zeitung in der Grundschule" entstanden.