Gehaltsparadies Europäische UnionWarum sich der Job bei der EU lohnt

Brüssel. Sie werden als "Gier-Beamte" beschimpft und müssen sich vorhalten lassen, "unerhörte Gehaltsforderungen" zu stellen. Der Streit um die Einkommen der 44 000 Beamten der Europäischen Union in den Diensten der Kommission, des Rates und des Parlaments ist eskaliert

Brüssel. Sie werden als "Gier-Beamte" beschimpft und müssen sich vorhalten lassen, "unerhörte Gehaltsforderungen" zu stellen. Der Streit um die Einkommen der 44 000 Beamten der Europäischen Union in den Diensten der Kommission, des Rates und des Parlaments ist eskaliert. José Manuel Barroso hat die Rolle des Schutzpatrons übernommen und will für "seine" Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg Klage einreichen. Der Kommissionspräsident darf zuversichtlich sein. Schon einmal haben die Richter den Beamten Recht gegeben und die Mitgliedstaaten zu einer Gehaltserhöhung verdonnert.

3,7 Prozent sollen es dieses Mal sein. Allein diese Anhebung würde den Steuerzahler rund 220 Millionen Euro mehr kosten, hat die Haushaltspolitikerin des Parlamentes Ingeborg Gräßle (CDU) inzwischen ausgerechnet. Darin sind die diversen Zulagen, die automatisch mit steigen, noch nicht eingerechnet. "Kommt gar nicht infrage", beschloss der Ministerrat der 27 Mitgliedstaaten und bot 1,85 Prozent an.

Anders als Zuhause werden die Einkommen der 44 000 EU-Mitarbeiter nicht in Tarifverhandlungen vereinbart. Das 2004 neu gefasste Statut für die in Brüssel, Luxemburg und Straßburg Beschäftigten legt fest, dass die EU-Statistiker von Eurostat die durchschnittliche Erhöhung der Beamtengehälter in acht großen und reichen Mitgliedstaaten errechnet - darunter ist auch Deutschland. Außerdem wird ein Index erstellt, der die Lebenserhaltungskosten und Kaufkraft von ausländischen Arbeitnehmern in Brüssel darstellt. Das alles fließt dann in einen Vorschlag ein, der üblicherweise vom Ministerrat nur abgenickt wird. Dieses Mal zog der jedoch die rote Karte.

Zum Stichtag 1. Juli 2008 ergab die Statistik nämlich eine Anhebung von 3,7 Prozent, zu viel für die von der Krise geplagten Mitgliedstaaten, befand man in den Hauptstädten. Schließlich gelten die Beamten dort ohnehin als sehr gut bezahlt. Wer beispielsweise als Nachwuchs-Dolmetscher nach einem mindestens dreijährigen Studium in den Dienst der Kommission tritt, bekommt ein Grundgehalt von 4190 Euro plus Auslandszulage von 16 Prozent. Alle zwei Jahre rückt der Beamte in eine besser bezahlte Dienstaltersstufe auf. Ein lukrativer Automatismus. Spitzenverdiener kommen derzeit auf 17 697 Euro Grundgehalt. Die EU-Steuer beginnt bei acht Prozent und steigt progressiv auf 45 Prozent. "Das Ganze schreit nach einer Reform", sagt Haushälterin Ingeborg Gräßle. Dazu müsste man allerdings das komplette Statut ändern, was eigentlich nicht nötig ist, da es bereits eine Sonderklausel enthält, die Abweichungen von der statistisch errechneten Anpassung bei entsprechender Wirtschaftslage möglich macht.

Die Betroffenen wehren sich und weisen darauf hin, dass sie in den zuletzt auch immer wieder Einbußen hinnehmen mussten. Außerdem seien sie Opfer der horrenden Inflationsrate in Belgien, die im Jahr 2008 zeitweise die Fünf-Prozent-Marke überschritt. Darüber hinaus sei es nicht gerechtfertigt, die Gehälter der nationalen Beamten mit denen der EU zu vergleichen. Wenn man Parallelen ziehen wolle, dann gehöre die Brüsseler Beamtenschaft in einen Topf mit anderen internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen.

Brüssel. Die Anforderungen sind hoch. Mehrsprachigkeit und Berufserfahrung müssen Bewerber vorweisen und zudem eine Prüfung mit hohen Anforderungen bestehen. Danach winkt dann ein lukratives Netz aus Gehalt, Zusatzleistungen und Versorgung. Zwischen 2300 Euro und knapp 18 000 Euro liegen die Grundgehälter, zu denen eine 16-prozentige Auslandszulage, Kindergeld, Haushaltszuschuss sowie eine Erziehungs- und Vorschulzulage kommen.

Neben der EU-Steuer, die progressiv von acht bis 45 Prozent steigt, sowie einer EU-Sonderabgabe von derzeit 5,07 Prozent (befristet bis 2012) werden zwei Prozent des Grundgehaltes in eine Krankenversicherung abgezogen. Für die Altersvorsorge werden 10,25 Prozent des monatlichen Ruhegehaltes einbehalten. Normalerweise können EU-Beamte mit 63 in Pension gehen. Vorruhestand ist ab 55 Jahren möglich. Sie erhalten dann für jedes abgeleistete Dienstjahr 1,9 Prozent ihres letzten Grundgehaltes, höchstens aber 70 Prozent.

Im Unterschied zu ihren Kollegen zuhause in den Mitgliedsstaaten können EU-Bedienstete keinerlei zusätzliche Ausgaben steuerlich geltend machen. Damit wird die im Vergleich mit der Heimat niedrigere Einkommensteuer begründet. Zu den weiteren Sozialleistungen für EU-Beamte gehören 24 Urlaubstage und vielfältige Möglichkeiten, Beruf und Privatleben in Einklang zu bringen. So können Frauen, die ein Kind geboren haben, 20 Wochen Mutterschaftsurlaub (Väter: zehn Tage) nehmen, ohne deshalb Gehaltseinbußen befürchten zu müssen. Zusätzlich steht ihnen ein sechsmonatiger Elternurlaub zur Verfügung. In dieser Zeit wird eine monatliche Vergütung gezahlt. dr

Meinung

Wer verdient, was er verdient?

Von SZ-Korrespondent

Detlef Drewes

Gehaltserhöhungen sind nie populär. Es sei denn, es geht um das eigene Portemonnaie. Der Streit um die EU-Beamtengehälter macht da keine Ausnahme. Neid und Europa-Skepsis mischen mit. Schuldige gibt es ohnehin keine: Die Brüsseler Beamten stellen keine Forderungen, ihre Gehaltsaufbesserung ergibt sich aus der Statistik. Natürlich haben die Mitgliedstaaten Recht, wenn sie vom falschen Signal in der Krise reden, Recht haben aber auch die, um die es geht. Schließlich hat man sie (auch) mit den finanziellen Perspektiven gelockt, die man ihnen nun kürzen will. Dabei sollte jeder, der vom anderen Einbußen als Signal fordert, zunächst fragen, ob er selber dazu bereit wäre.

Das Problem liegt tiefer. Die EU straft seit Jahren ihre eigenen Appelle für eine entbürokratisierte Verwaltung Lügen. Ungeniert generiert die Gemeinschaft neue Verästelungen ihrer Administration. Sie wird nicht, was sie von anderen fordert: schlanker. Das bezahlt der Steuerzahler und ist mit Recht sauer. Verstehen muss man wohl beide Seiten, ändern aber muss man das gesamte System.

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