Gefangen an Bord

Bremen/Hamburg. Die meisten Türen an Bord der "K-Storm" sind fest verschlossen. Wie ein Geisterschiff dümpelt der erst kürzlich von der Rolandwerft an der Unterweser abgelieferte Containerfrachter im Bremer Industriehafen. Nur ganz oben auf der Brücke regt sich etwas. Seit knapp vier Monaten wacht dort der erste Offizier Mate Pavlenko über Radar, Fernschreiber und E-Mail

Bremen/Hamburg. Die meisten Türen an Bord der "K-Storm" sind fest verschlossen. Wie ein Geisterschiff dümpelt der erst kürzlich von der Rolandwerft an der Unterweser abgelieferte Containerfrachter im Bremer Industriehafen. Nur ganz oben auf der Brücke regt sich etwas. Seit knapp vier Monaten wacht dort der erste Offizier Mate Pavlenko über Radar, Fernschreiber und E-Mail. Ladung gibt es nicht, das Schiff ist arbeitslos. Und wenn es so weiter geht mit der Wirtschaftskrise, ist es der Ukrainer Pavlenko auch bald.Noch vor einem Jahr war Frachtraum ein begehrtes Gut. Seeleute waren gefragtes Personal. Nun stürzt die globale Rezession Männer wie Pavlenko in massive Existenzängste. Das Londoner Analysehaus Lloyd's MIU meldete in der Vorwoche weltweit rund 450 Schiffe, die keine oder nicht genügend Fracht haben. Während in den nächsten Jahren tausende Schiffsneubauten in Fahrt kommen sollen, geht die Schere zwischen Flottenwachstum und Containerumschlag bei massiv eingebrochenen Charterraten weiter auf. Mehr als 90 Prozent aller Waren werden über die Meere transportiert. Und wo weniger Güter nachgefragt werden, werden eben auch weniger Frachter gebraucht. Weltweit seien derzeit Schiffe mit einer Stellkapazität von rund 1,1 Millionen Containern nicht ausgelastet, sagt der Hamburger Schiffsfinanz-Experte Torsten Wagner. Die Konsequenz sind so genannte Auflieger: Schiffe, die ohne Aufträge in den Häfen bleiben. Wer wie die fünfköpfige Notcrew auf der "K-Storm" über einen Anleger Land erreicht, kann da noch von Glück sagen. "Viele Schiffe liegen mitten im Hafenbecken und können nur mit einer kleinen Barkasse, einem Wassertaxi, versorgt werden", sagt der Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission in Bremen, Hero Feenders. "Aber jede Barkasse kostet." So wächst sich die weltweite Wirtschaftskrise für eine steigende Zahl von Seeleuten nicht nur in Häfen wie Bremen, Bremerhaven, Hamburg, Cuxhaven und Emden zur unfreiwilligen Gefangenschaft an Bord aus. Auf Anker- und Warteplätzen in der Deutschen Bucht und vor Helgoland sieht es noch schlechter aus. "Die Crew sieht in der Ferne Land, kann aber nicht von Bord. Die sind psychisch angeschossen", meint der Cuxhavener Seemannsdiakon Martin Struwe. Manchmal kommen die Schiffe für kurze Zeit an die Kaje, um Treibstoff und Proviant zu bunkern. In Struwes Seemannsclub ist dann wenigstens für ein paar Stunden Tapetenwechsel angesagt.International ist die Situation nicht anders. So liegt vor Singapore eine Armada von Schiffen und wartet auf Fracht. Die Männer, die Motoren und Instrumente betriebsbereit halten, kommen selten an Land. "Die Isolation ist dramatisch", betont Feenders und wird vom Bremerhavener Seemannsdiakon Dirk Obermann bestätigt: "Das birgt Konfliktpotential, wenn die Leute ohne Landgang eng aufeinander hocken und die Arbeit ausgeht." Beschäftigte der Deutschen Seemannsmission wie Obermann und der Bremer Seemannspastor Peter Bick versuchen, den so dringend notwendigen Draht zur Außenwelt nicht abreißen zu lassen. Bick bringt Pavlenko eine neue Zeitung aus der Ukraine und kommt mit ihm ins Gespräch. Ladung sei nicht in Sicht, bedauert der Offizier und versucht sich in sein Schicksal zu fügen: "Das ist das Leben." Ähnlich geht es derzeit auch etlichen philippinischen Seeleuten, die weltweit etwa die Hälfte der Mannschaften an Bord stellen. Einer von ihnen ernährt mit seinem Verdienst oft große Familien. Doch keiner klage, sie seien "sehr tapfer", berichtet Diakonin Corinna Dohotariu aus dem Hamburger Seemannsclub "Duckdalben". "Ihr Problem ist jetzt auch, dass sie nun keine Überstunden mehr machen können, die beim Verdienst aber fest eingeplant sind. Das geht an die wirtschaftliche Existenz." Obermann schätzt den "Overtime"-Anteil auf etwa 50 Prozent des Bruttolohns. "Die Männer stehen mit dem Rücken an der Wand", warnt Bick. Auch in osteuropäischen Ländern wie der Ukraine fielen Seeleute ohne Job ins Nichts. "Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Sozialsysteme kollabieren, die Kriminalität steigt." Trotz der Krise hofft Mate Pavlenko auf neue Touren, zählt darauf, dass ihn die Schiffseigner in Hamburg weiter beschäftigen und seinen Kontrakt verlängern. Denn zu Hause warten Frau und zwei Kinder auf seinen Lohn, um zu überleben. "Die Isolation ist dramatisch."Hero Feenders, Generalsekretär der Deutschen Seemannsmission in Bremen

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