Gauck in Budapest: Märtyrer, Militäreinsätze und WM-Fieber

Budapest · 25 Jahre friedliche Revolution in Osteuropa sind ein Grund zum Feiern. In Budapest treffen sich fünf Staatschefs zum gemeinsamen Gedenken. Die aktuellen Probleme Ungarns werden ausgeblendet. Die Fußball-WM nicht.

Es war wohl kein Zufall, sondern eher geschickte Regie, dass Viktor Orban an diesem Tag nicht in Budapest weilte. Bundespräsident Joachim Gauck blieb es so erspart, den umstrittenen Regierungschef zu treffen. Statt sich mit dem aktuellen Kurs des Landes auseinanderzusetzen, den manche Beobachter als Abkehr von der Demokratie sehen, konnte Gauck sich der Erinnerung widmen: 25 Jahre friedliche Revolution in Osteuropa . Dass auch dieses Thema nicht frei von Tücken ist, kommt für den Erinnerungsprofi Gauck nicht überraschend.

Gemeinsam mit den Staatschefs Ungarns, Polens, Tschechiens und der Slowakei gedachte der Bundespräsident eines doppelten Jahrestages: Am 16. Juni 1989 wurde der von den Kommunisten getötete Imre Nagy zum zweiten Mal beerdigt, der Akt auf dem Budapester Heldenplatz geriet zu einer Massendemonstration gegen das kommunistische Regime.

Genau 31 Jahre vorher war der Held der freiheitsliebenden Ungarn hingerichtet und anonym begraben worden, das Gesicht nach unten, angeblich neben Tierkadavern. Dass gestern nun in Budapest auf dem Heldenplatz ein Rockkonzert angesetzt war, gefiel den Nachfahren Nagys und der anderen Märtyrer des anti-sowjetischen Aufstandes von 1956 nicht. "Am Schauplatz der kathartischen Trauerzeremomie (von 1989) kann man am Trauertag keinesfalls tanzen und sich amüsieren", hieß es.

Als Gauck dann in der Gedenkstätte "Haus des Terrors" erneut der Opfer des Kommunismus gedachte, sah er sich in der Pflicht daran zu erinnern, dass es im Europa des 20. Jahrhunderts eine "doppelte Unterdrückungsgeschichte" gegeben hat: Neben dem Kommunismus die in Ungarn gerne verdrängte Zeit des Nationalsozialismus. Doch fällt auch auf, dass seine offiziellen ungarischen Gastgeber mit diesen Verdrängungen recht selektiv umgehen. So wird demnächst auf dem Freiheitsplatz in Budapest ein Denkmal enthüllt, das Ungarn als reines Opfer des Nationalsozialismus darstellt. Dabei war das Land mit Hitler-Deutschland verbündet. Der ungarische Staats- und Beamtenapparat sorgte im Frühjahr 1944 dafür, dass mehr als eine halbe Million ungarischer Juden nach Auschwitz deportiert wurden - auch wenn das Land zu dem Zeitpunkt formell von den verbündeten deutschen Truppen besetzt war.

Der Besuch in Budapest war Teil einer fünfteiligen Erinnerungsreise, mit der Gauck und seine vier Amtskollegen die Schlüsselereignisse des Jahres 1989 feiern wollen. Doch das Konzept scheint nur bedingt aufzugehen. Die erste Etappe in Warschau wurde vom Besuch des US-Präsidenten Barack Obama überschattet, in Budapest gab es drängende Fragen nach der Politik des abwesenden Ministerpräsidenten Orban. Und Gauck selbst sah sich mit den Spätfolgen eines Interviews konfrontiert, in dem er seine Forderung nach mehr deutschem Engagement in der Welt, notfalls auch militärischer Art, erneuert hatte.

Bevor Gauck am späten Abend nach Berlin zurückflog, stand noch eine Feierstunde im Konzerthaus Pester Redoute auf dem Programm. Allerdings erst um 20 Uhr. Die zwei Stunden vorher hatten sich Gauck und seine Delegation freigenommen: Die Übertragung des WM-Spiels Deutschland gegen Portugal war im Hotel Kempinksi organisiert.

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