Ganz weit oben

Saarbrücken · Simone wer? Nicht jeder in Berlin wusste bei ihrer Kandidatur sofort, wer Simone Peter ist. Das wird sich jetzt ändern. Die 47 Jahre alte Saarländerin soll die Grünen als Parteichefin wieder in bessere Zeiten führen.

Dass Simone Peter weit oben angekommen ist in der deutschen Politik, erkennt man vielleicht am ehesten daran: Ihre Familie muss ohne sie Urlaub machen am Meer. Sohn Elias (7) und Ehemann Andreas (49) entspannen diesmal allein. Für Urlaub ist im Leben von Dr. Simone Peter (47), Ex-Umweltministerin und Noch-Landtagsabgeordnete im Saarland, gerade überhaupt keine Zeit. Anrufe, SMS, E-Mails. Sitzungen, Interviews, Stunden im Flieger zwischen Berlin und Saarbrücken: Ganz viele Menschen wollen in diesen Tagen ganz viel von ihr wissen. Und dieser Zustand dürfte einige Zeit anhalten.

Wenn alles so kommt, wie es alle erwarten, ist Simone Peter ab heute Abend Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Im Berliner Velodrom wird die Führung der von der schlechten Bundestagswahl schockierten Partei weitgehend neu bestimmt. Für die Nachfolge von Claudia Roth auf dem Chefplatz gibt es bislang genau eine Bewerbung: Die von Simone Peter aus Saarbrücken, Diplom-Biologin, Dr. rer. nat., geboren in Quierschied, aufgewachsen in Dillingen.

Einen "Traumjob" nennt Peter das, was vor ihr liegt in den kommenden zwei Jahren. So lange ist sie (zunächst) gewählt. Es ist eine Aufgabe mit viel Verantwortung, Druck, Entbehrungen - aber auch mit großen Chancen. Peter sieht vor allem die Möglichkeit, "an hoher Stelle Themen zu platzieren und gesellschaftliche Mehrheiten zu organisieren". Das sei "schon äußerst spannend".

Mit Mann und Kind hat sie einige Zeit überlegt, ob sie das Abenteuer Berlin wagen soll. Dann gab der Familienrat grünes Licht. Zuhause sind sie nun vor allem "total stolz". Das sind auch ihre Eltern, beide beinahe 90, und die Brüder, acht und zehn Jahre älter als die Schwester und ebenfalls "politisch unterwegs". Im Elternhaus - mit Blick auf die Hochöfen der Dillinger Hütte - wurde früh und viel über Politik geredet, "meist am Mittagstisch". Friedensmärsche, Proteste gegen Atomkraft, das Aufkommen der Öko-Bewegung - das alles fällt in die Kindheit und Jugend von Simone Peter. Es waren spannende Zeiten, und ihre Eltern waren sehr engagiert. Vater Rudi zum Beispiel war als Vorsitzender der Zukunftswerkstatt Saar lange Jahre einer der Pioniere der Solar-Energie im Saarland; Mutter Brunhilde war Ministerin für Soziales und Gesundheit im Kabinett von Oskar Lafontaine.

Das prägt. Das bildete eine gute Basis für alles, was danach kam: Ihre Doktorarbeit (über den Sauerstoffhaushalt von Saar und Mosel), 1996 der Eintritt bei den Grünen in Saarbrücken, 1999 die Kandidatur für den Landtag (ohne Erfolg), später der Wechsel nach Bonn zu Eurosolar und dann nach Berlin zur Agentur für Erneuerbare Energien. Und ab 2009 das Ministeramt. In den gut zwei Jahren als Chefin einer Behörde mit 2200 Leuten habe sie viele Kontakte gewonnen und sehr viel Selbstvertrauen, sagt Peter.

Dass Berlin "ein anderes Pflaster" ist, weiß sie. Und die Aufgabe ist gewaltig: Peter soll eine "angeschlagene Partei" wieder aufrichten. In einem vierseitigen Bewerbungsschreiben für den Vorsitz drückt sie das so aus: Man müsse "Lehren ziehen" aus der 8,4-Prozent-Pleite, müsse das "grüne Profil schärfen". Peter sieht keinen Grund für eine "radikale Neuausrichtung", eher will sie die Grünen zurück zu den Wurzeln führen - und damit weg von Veggie-Day und Verbote-Partei.

Der Kampf gegen den Klimawandel ist tatsächlich das erste inhaltliche Ziel, das in ihrer Bewerbung vorkommt. "Wenn wir uns auf unsere Stärken besinnen und als Grüne zusammenstehen", schreibt Peter an ihre Parteifreunde, "dann werden wir auch wieder gewinnen. Dafür will ich mit Euch kämpfen."

Dass Politik auch Kampf bedeutet, nicht selten gegen so genannte Parteifreunde, weiß Peter eigentlich schon, seit sie in dieses Geschäft eingestiegen ist. Immer wieder taucht dabei der Name Hubert Ulrich als Gegenspieler auf. Bereits zur Jahrtausendwende brachte Peter ihr Misstrauen gegen eine "Machtkonzentration in Saarlouis" öffentlich zum Ausdruck, zugleich wollte sie damals Ulrichs Rückkehr als Landeschef verhindern. Das Vorhaben misslang ihr ebenso wie im Juni 2012 der Versuch, neben Ulrich Vorsitzende der Saar-Grünen zu werden. In einer Kampfabstimmung gegen Claudia Willger aus dem Ulrich-Lager setzte es eine krachende Niederlage. Nur 30 von 120 Delegierten stimmten für sie. Ein "Schock" sei dieses Ergebnis gewesen.

Was Peter im Saarland nicht geglückt ist, der Sprung an die Spitze, wird nun in Berlin klappen. Greift hier der Bibelspruch vom Propheten, der nirgends weniger gilt als im eigenen Land? Peter sagt dazu nichts, sie blickt nach vorn, nicht zurück. Dennoch wird sie jetzt Ulrichs Chefin sein, irgendwie.

Dass es so kommt, hat mit der Bundestagswahl zu tun, aber nicht nur. Schon in den Monaten davor hatte sich abgezeichnet, dass Claudia Roth nicht wieder antreten würde für den Vorsitz, der linke Flügel der Partei eine neue Frau brauche für den Vorstand. Weil es bei den Grünen nicht unendlich viele geeignete Kandidatinnen gibt, konnte sich Peter allmählich mit dem Gedanken auseinandersetzen, in Berlin eine führende Rolle zu übernehmen. Am Wahlabend war es dann nur auf den ersten Blick eine Überraschung, als ihr Name nur drei Stunden nach der ersten Hochrechnung in den Nachrichtenagenturen die Runde machte. "Danach hat sich die Sache ein Stück verselbstständigt. Danach wurde es konkret."

Sie habe große Lust, die Partei mit "vollem Elan" voranzubringen, wird sie den Delegierten heute erklären. "Die grüne Geschichte geht weiter", ist Simone Peter überzeugt. An ein Scheitern in Berlin verschwendet sie keinen Gedanken: "Dann würde ich es nicht machen."

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Zur PersonSimone Peter isst am liebsten Salat, Gemüse, Obst, gelegentlich auch Fleisch. Sie kauft überwiegend in Bio-Läden, verbringt freie Zeit mit der Familie oder geht joggen. Ein Vorbild ist Willy Brandt. Über Oskar Lafontaine, bislang einziger Saarländer an der Spitze einer Bundestagspartei, sagt sie: "Er hat oft richtige Fragen gestellt. Vieles ist aber auch populistisch. Was ich ihm vorwerfe, ist mangelndes Durchhaltevermögen." tho

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