Gabriels Albtraum

Berlin · Eine „Riesen-Feier“ will Sigmar Gabriel geben, wenn die taumelnde SPD bei der Europawahl 28 Prozent der Stimmen erreicht. Schafft sie es nicht, könnte Gabriels Renommee bei den Genossen ernsthaft Schaden nehmen.

Es ist wie verhext. Beinah im Wochentakt produziert die SPD neue Gesetzentwürfe und versteht sich damit als treibende politische Kraft in der großen Koalition. Doch die Umfragen bleiben mau. Drohen die Genossen erneut an Schwarz-Rot zu verzweifeln?

Sigmar Gabriel hatte gestern einen angenehmen öffentlichen Termin. Als Bundeswirtschaftsminister durfte er die Frühjahrsprognose der Regierung verkünden. Und die fiel bis fast auf die Kommastelle genauso positiv aus wie die Vorhersage der Wirtschaftsforschungsinstitute vor wenigen Tagen. Gabriel sparte dann auch nicht mit optimistischen Vokabeln. Von einem "soliden Aufschwung" war die Rede und davon, dass die deutsche Wirtschaft "kraftvoll ins neue Jahr gestartet" sei.

Als Chef der SPD hat Gabriel weniger Grund zur Freude. Zwar begeistert sich die Partei daran, was sie in den ersten einhundert Regierungstagen schon Tolles auf den Weg gebracht hat - Rentenverbesserungen, Mindestlohn, Mietpreisbremse. Doch die Bürger, die damit bedacht werden sollen, sind offenkundig undankbare Wesen. Während die Union in allen Umfragen der vergangenen Wochen das Niveau ihres letzten Bundestagswahlergebnisses (41,5 Prozent) halten konnte, liegen die Sozialdemokraten konstant unter der ohnehin schon mageren Ausbeute vom vergangenen Herbst (25,7 Prozent). Da werden bei vielen Sozialdemokraten ungute Erinnerungen an die große Koalition in den Jahren 2005 bis 2009 wach. Vor allem Dank der Popularität von Angela Merkel erntete die Union damals die Früchte der gemeinsamen Regierungsarbeit, während die SPD am Ende praktisch leer ausging.

Gabriel freilich will davon (noch) nichts wissen. Auf entsprechende Nachfragen erklärte er gestern, dass die ins Werk gesetzten Wohltaten "für die meisten Menschen noch Theorie" seien. Im Klartext: Der Wind wird sich schon drehen. Der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter teilt Gabriels These allerdings nur bedingt. Tatsächlich habe man es gegenwärtig mit einer "eingefrorenen öffentlichen Meinung" zu tun, so Falter gegenüber der SZ. "Viele Wähler, nehmen das, was die SPD tut, als Aktivität der gesamten Bundesregierung wahr, also nicht als von einer Partei gesteuert." Selbst die Rente mit 63 als originäres Thema der Genossen sei schließlich im Koalitionsvertrag festgeschrieben, werde also von der Kanzlerin mitgetragen. "Das heißt, die Zuschreibung zu einer einzelnen Partei findet nicht in der Weise statt, wie die SPD das gern hätte." Ob sich diese Wahrnehmung in Zukunft entscheidend verändere, sei längst nicht ausgemacht, meinte Falter.

Der Chef des Forsa-Instituts, Manfred Güllner, wird noch deutlicher: "Die SPD setzt Themen im Regierungsalltag um, mit denen sie schon im Wahlkampf keinen Erfolg hatte." Zwar gebe es für den Mindestlohn eine sehr hohe Zustimmung, ebenso für die Rente mit 63. "Aber das sind einzelne Punkte, die für die meisten Menschen keine drängenden Probleme sind", sagte Güllner unserer Zeitung.

Schon die Ende Mai stattfindende Europawahl könnte eine erste Antwort darauf geben, wer am Ende Recht behält. Gabriel oder die Meinungsforscher. Die demoskopischen Vorzeichen für die SPD sind hier übrigens vergleichsweise günstig. Auf bis zu 28 Prozent wird die Partei gegenwärtig taxiert. Das wären fast acht Prozent mehr als bei der letzten Europawahl. In diesem Falle gäbe es "eine Riesen-Feier im Willy-Brandt-Haus", kündigte Gabriel gestern schon mal an. Eine Bemerkung, die auch davon zeugt, dass der Vorsitzende selbst unter großem Druck steht. Noch gilt Gabriel wegen seines strategisch klugen Agierens beim Zustandekommen des Koalitionsvertrages und der anschließenden Mitgliederbefragung in der SPD als unangreifbar. Doch das könnte sich auch ändern, wenn den Genossen die Liebe der Wähler weiter versagt bliebe.

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