Gabriel facht neue Debatte um Atommüll-Endlager an

Berlin. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ist um Vergleiche selten verlegen. Atommüll zu produzieren, das sei, als ob man mit einem Flugzeug fliege und nicht wisse, ob es unten eine Landebahn gebe, sagte er gestern in Berlin. Der Minister will nun die festgefahrene Debatte um ein Atommüll-Endlager wieder lostreten. Sein Ziel ist eine neue, ergebnisoffene Standortsuche in ganz Deutschland

Berlin. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ist um Vergleiche selten verlegen. Atommüll zu produzieren, das sei, als ob man mit einem Flugzeug fliege und nicht wisse, ob es unten eine Landebahn gebe, sagte er gestern in Berlin. Der Minister will nun die festgefahrene Debatte um ein Atommüll-Endlager wieder lostreten. Sein Ziel ist eine neue, ergebnisoffene Standortsuche in ganz Deutschland. Eine Festlegung auf das niedersächsische Gorleben, wo es eine ausgedehnte Erkundungsbohrung gibt, lehnte Gabriel ab. Genau hierin liegt der Konflikt mit dem Koalitionspartner CDU. Einer neuen Standortsuche will sich etwa Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff "erbittert" widersetzen. Mit Gorleben und Schacht Konrad, wo schwach radioaktive Abfälle eingelagert werden, habe sein Land bereits genug getan. Ex-CSU-Chef Erwin Huber hatte eine neue Suche mit dem Argument zurückgewiesen, man habe ja schon Gorleben und dafür bereits Milliarden ausgegeben. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) will zwar eine "ergebnisoffene Prüfung" - aber auch nur für Gorleben. Vor allem die beiden Südländer kämen in Probleme, wenn noch einmal gesucht würde. Denn außer den Salzstöcken, die es vor allem in Niedersachsen gibt, kommen nach Meinung von Geologen auch Ton- und Granitschichten in Frage, die bei ihnen existieren. Gabriels Hauptargument ist, dass Deutschland ganz ohne Lagerstätte dastünde, wenn Gorleben-Gegner sich vor Gericht mit dem Hinweis durchsetzten, es sei ja gar nicht geprüft worden, ob es bessere Standorte gebe. Allerdings, so Gabriel einschränkend, wenn die Prüfung ergebe, dass ein anderer Standort nur gleich gut sei, könne und solle man sich wegen der schon verbauten Mittel für Gorleben entscheiden. Es geht um rund 17500 Tonnen hoch strahlenden Atommüll, der eine Million Jahre sicher lagern soll. Zudem soll er in den ersten 500 Jahren rückholbar sein, muss also in feste Gefäße verfüllt werden. Mit einem Kongress heute in Berlin will der Minister seiner Strategie Rückhalt geben. Dort soll über die Anforderungen an ein transparentes Entscheidungsverfahren gesprochen werden. Wer ein Endlager in seinem Bundesland von vornherein ablehne und gleichzeitig längere Laufzeiten der Atomkraftwerke fordere, argumentiere "nicht redlich", sagte Gabriel. Auch für die Alternative eines internationalen Endlagers, zum Beispiel irgendwo in Russland, brauche Deutschland einen eigenen Standort als Reserve. "Sonst sind wir erpressbar." Dass Salzstöcke schon nach wenigen Jahren Überraschungen bergen können, hatte sich vor kurzem im Bergwerk Asse gezeigt, wo schwach und mittelstark strahlender Atommüll eingelagert ist. Gegen die dort massiv eintretenden Salzlaugen soll nun laut einem Gutachten die Verfüllung der Kammern mit Spezial-Beton helfen. Zudem könnten, so ein Gutachten, die mittelstark strahlenden Abfälle innerhalb von fünf Jahren wieder aus dem Lager herausgeholt werden. Gabriel bezifferte die Sanierungskosten für Asse und die Schließungskosten für das ehemalige DDR-Lager Morsleben auf drei bis vier Milliarden Euro. Was ihn zum nächsten Vergleich veranlasste: Atommüll sei "ein großer fauler Kredit, der noch sehr teuer werden kann, wenn er platzt". Meinung

Schlimmer als in Neapel

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff Was haben die Deutschen den Kopf geschüttelt, als sich in Neapel der Müll stapelte. Beim Atommüll aber verhalten sich Wirtschaft wie Politik hierzulande überhaupt nicht anders, und das ist ungleich schlimmer. Er wird einfach vor die Tür gestellt, sprich in Abklinglager. Wohin er dann kommt, ist vollkommen unklar. "Gorleben", ruft die Union. "Neue Standortsuche" die SPD. " Jetzt rächt sich, dass der Atomausstieg kein konsensuales Projekt zwischen den großen Volksparteien war, sondern eben nur ein rot-grünes. Für diese Legislaturperiode ist die Chance vertan, diesen Geburtsfehler zu korrigieren. Aber für die nächste ist ein solcher neuer Konsens eine der wichtigsten Aufgaben. Nach Lage der Dinge wird er von beiden Parteien den Mut erfordern, einen vernünftigen Kompromiss zu finden, auch gegen Teile der eigenen Klientel. Zum Beispiel längere Laufzeiten für die modernsten Atomkraftwerke gegen ein Neubauverbot und eine offene Endlagersuche.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Zu weiche Knochen Ein Großteil der Bevölkerung hat deutlich weniger Vitamin D im Körper, als Experten empfehlen. Dadurch drohen ernsthafte Erkrankungen: von Knochenerweichung (Rachitis) bis zum Knochenschwund (Osteoporose). Bereits Kinder und Jugendliche
Zu weiche Knochen Ein Großteil der Bevölkerung hat deutlich weniger Vitamin D im Körper, als Experten empfehlen. Dadurch drohen ernsthafte Erkrankungen: von Knochenerweichung (Rachitis) bis zum Knochenschwund (Osteoporose). Bereits Kinder und Jugendliche