Kurt Clemens war einst Saarlands stärkster Fußballer „Saarländer hätten bei der WM keine Chance gehabt“

Saarbrücken · Kurt Clemens galt in den 50er Jahren als einer der ganz Großen im europäischen Fußball. Real Madrid und Barcelona buhlten um den heute 88-Jährigen. Mit der saarländischen Nationalelf machte er legendäre Spiele.

 Kurt Clemens zu Hause mit seinen Urenkeln Emilian Bernardo, Tamay Renard und Simay Renard (von links). Foto: Becker&Bredel

Kurt Clemens zu Hause mit seinen Urenkeln Emilian Bernardo, Tamay Renard und Simay Renard (von links). Foto: Becker&Bredel

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Es waren 20 Jahre, vielleicht auch nur 15. So genau weiß das Kurt Clemens nicht mehr. "Auf jeden Fall habe ich eine Ewigkeit nicht mit Journalisten reden wollen", erzählt der 88-Jährige in seinem kleinen Einfamilienhaus in Homburg. Die alte Zeit, davon wollte er nichts mehr wissen. Warum, will er nicht sagen: "Wissen Sie, inzwischen habe ich Urenkel. Und die sollen ja auch mal lesen können, was der Ur-Opa früher so gemacht hat." Die Urenkel also. Deshalb redet er nun wieder über seine Zeit als Kicker. Der teuerste Fußballer Europas war er einmal. Der Spielmacher hatte Angebote von Real Madrid, dem FC Barcelona, spielte für den 1. FC Saarbrücken, den FC Nancy, Saar 05 und für die saarländische Nationalmannschaft.

"Das war eine schöne Zeit", erinnert sich Clemens. Vor allem die Spiele mit dem Saarland gegen Deutschland in der WM-Qualifikation sind ihm noch in Erinnerung. Das Hinspiel in Stuttgart hatte die Saar-Elf am 8. November 1953 mit 0:3 verloren. Im Rückspiel am 28. März 1954 im Saarbrücker Ludwigspark unterlag das Saarland mit Trainer Helmut Schön mit 1:3. Daher sind für kommenden Freitag alle noch lebenden damaligen Spieler in der Staatskanzlei zu einem Empfang bei Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer eingeladen. Clemens wird zum 60-jährigen Jubiläum nicht kommen: die Knochen. Er erinnert sich lieber zu Hause am Esszimmertisch. "Ich weiß noch heute, dass ich nach der Qualifikation nicht richtig unglücklich war", erzählt er. "Ich fühlte mich eben doch als Deutscher und wollte Herberger und der Elf, in der ich als kleiner Bub immer spielen wollte, nicht den Weg in die Schweiz verbauen. Wir Saarländer hätten bei der WM auch keine Chance gehabt", sagt Clemens bescheiden.

Und ja, hätte das Saarland damals nicht unter französischem Protektorat gestanden, wäre Clemens Fußball-Deutscher gewesen, wäre er wohl auch 1954 Teil des "Wunders von Bern" gewesen. Er hätte neben Fritz Walter den Weltpokal in die Höhe gereckt und Deutschland nach dem Krieg wieder etwas Selbstvertrauen gegeben. Deutschlands Trainer Sepp Herberger hat öfter gesagt, dass die Saarländer "uns den Clemens pumpen müssen". Doch daraus wurde nichts. Clemens war und ist halt Saarländer.

Sowieso liest sich die Karriere des Fußballers Clemens auf den ersten Blick wie eine der verpassten Chancen: 1951 galt er als der begehrteste Spieler Europas. Damals hatte er ein Angebot von Real Madrid vorliegen. 300 000 Mark hatten sie geboten, heute wären das in etwa drei Einfamilienhäuser. Atletico soll im gleichen Jahr für Fritz Walter 280 000 Mark geboten haben. Das Angebot von Real kam für Clemens nicht unvermittelt: Am 21. Februar 1951 hatte der FCS ein Freundschaftsspiel bei Real mit 4:0 gewonnen. Der überragende Mann damals: Kurt Clemens. Die 50 000 Zuschauer spendeten ihm Applaus, als er kurz vor Schluss den Platz verließ. "Ich dachte zunächst, die spenden General Franco Applaus. Aber sie applaudierten mir." Madrid hatte zuvor zwölf Jahre lang kein Heimspiel verloren. Doch Clemens musste Real absagen. Er zog sich kurz nach dem Angebot bei einem Spiel mit dem FCS bei Partizan Belgrad einen doppelten Schädelbasisbruch zu - er überlebte und begann zu zweifeln, ob es für Real noch reichen würde. Schließlich hatte er auch noch einen Durchschuss im Bein, Probleme mit den Augen, den Knien. Clemens: "Da habe ich die Kontakte zu Real abgebrochen und mir gesagt, gehe ich zum FC Nancy: Der war nicht ganz so gut." Mit Nancy wurde er 1953 Vizepokalsieger, Clemens war der Regisseur. In Frankreich nannten sie ihn "maître de danse", Tanzmeister.

Großes Lob von Fritz Walter

1952 wurde Clemens gar in eine Europaauswahl gewählt. Er war Saarlands Fritz Walter. Auch wenn er den Vergleich nicht mag. "Ich habe noch nie so viel Spielwitz wie bei Fritz gesehen. Ich habe ihn als 18-Jährigen spielen sehen, da war er überragend. Bei der WM war er ja schon 33 Jahre alt. Er war mein Vorbild. Aber ich war beileibe nicht so gut." Sie verloren sich nie aus den Augen. Fritz Walter erzählte noch 40 Jahre später über Clemens: "Er war ein überragender Techniker. Er konnte lange Pässe schlagen und fütterte das Spiel mit guten Ideen. Kurt war allerdings ab und zu - ebenso wie ich - nicht hart genug." Clemens, der sich inzwischen nur noch schwerlich bewegen kann, sagt heute dazu: "Ich hatte immer mit Verletzungen zu kämpfen, war eigentlich Sportinvalide." Vor dem Hinspiel in der WM-Qualifikation 1953 gegen Deutschland fiel Clemens zum Beispiel ein halbes Jahr aus. Der Meniskus. Dennoch trumpfte er auch im Rückspiel 1954 groß auf.

1953 hatte er übrigens noch ein Angebot des FC Barcelona. Er sollte bei den Katalanen die Nachfolge des berühmten Ungarn László Kubala antreten. Doch: "Die Knochen. Außerdem hatte ich Saar 05 schon eine Zusage gegeben. Die habe ich eingehalten." Saar 05 hatte ihm auch einen Job als Dolmetscher bei einem Ministerium besorgt, den er bis zur Rente behielt. Der Mann, der vier Sprachen spricht, kam also aus Nancy zurück ins Saarland zu Frau und Kindern, die inzwischen sogar Enkel haben. Seine Urenkel eben. Und für die hat er seine Geschichte nun wieder erzählt.

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