Fußball im Würgegriff der Wettmafia

Der Fußball befindet sich im Würgegriff der Organisierten Kriminalität: Die europäische Polizeibehörde Europol hat nach eigenen Angaben den weltweit größten Wettskandal der Fußball-Geschichte durch jahrelange Ermittlungen aufgedeckt und die Hintermänner in Asien identifiziert. Die Dimension ist erschütternd

Der Fußball befindet sich im Würgegriff der Organisierten Kriminalität: Die europäische Polizeibehörde Europol hat nach eigenen Angaben den weltweit größten Wettskandal der Fußball-Geschichte durch jahrelange Ermittlungen aufgedeckt und die Hintermänner in Asien identifiziert. Die Dimension ist erschütternd. Europol gab gestern in Den Haag bekannt, dass es zwischen 2008 und 2011 insgesamt 380 manipulierte Spiele gegeben haben soll. In rund 300 weiteren verdächtigen Fällen laufen derzeit noch Ermittlungen.

"Das ist ein trauriger Tag für den europäischen Fußball. Für uns steht fest, dass es sich um den größten Fall aller Zeiten in diesem Bereich handelt. Die Manipulationen haben einen Stand erreicht, wie wir ihn noch nie hatten", sagte Europol-Direktor Rob Wainwright, der seinen brisanten Bericht der Europäischen Fußball-Union (UEFA) übergeben wird: "Wir konnten zum ersten Mal beweisen, dass die Organisierte Kriminalität in der Fußballwelt operiert." Joseph S. Blatter lobte die Arbeit der Behörden. "Die Zusammenarbeit mit der Polizei hat im Kampf gegen Spielmanipulation geholfen", twitterte der Präsident des Fußball-Weltverbands FIFA.

Der vom Bochumer Landgericht abgehandelte Skandal um den Wettpaten Ante Sapina, bei dem es sich um 51 manipulierte Spiele gehandelt hat, ist in den Zahlen von Europol bereits enthalten. Laut Europol sollen insgesamt 425 Spieler, Schiedsrichter, Funktionäre und Kriminelle in den Manipulationen der vergangenen Jahre involviert gewesen sein. Namen der Verdächtigen wollte Wainwright mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht nennen. Betroffen sein sollen Spiele aus europäischen Top-Ligen. Zudem zwei Partien der Champions League sowie Spiele der WM- und EM-Qualifikation.

Durch Manipulationen in 15 Ländern sollen die Betrüger acht Millionen Euro verdient haben. Diese Summe sowie zwei Millionen Euro an Bestechungsgeldern wurden von den Behörden sichergestellt. Europol geht davon aus, dass es sich dabei aber nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Das kriminelle Netzwerk soll von Singapur aus gesteuert werden.

Das ist das Ergebnis der Ermittlungen von Polizeiteams aus 13 Ländern, die gemeinsam an diesem Fall arbeiten. Dabei wurden bisher 13 000 Telefongespräche und E-Mails untersucht, auch V-Leute wurden eingesetzt.

Viel Geld, wenig Risiko

"Das Problem wird immer größer, weil immer mehr kriminell veranlagte Leute erkennen, dass sie mit geringem Risiko viel Geld verdienen können. Es gibt mittlerweile Täter, die wechseln vom Drogenhandel zu den Manipulationen", sagte der für Deutschland zuständige Bochumer Kriminalhauptkommissar Friedhelm Althans: "Bei den 300 Spielen, die derzeit untersucht werden, geht es zu 90 Prozent um Spiele außerhalb Europas. Dazu gehören zwei WM-Qualifikationsspiele in Afrika und eines in Mittelamerika."

Laut Experte Althans setzten die Kriminellen bis zu 100 000 Euro für die Bestechung von Spielern und Schiedsrichtern pro Partie ein. "In 150 Fällen haben wir dafür Beweise", sagte der Beamte: "An einer Manipulation waren beispielsweise 50 Leute aus zehn Ländern beteiligt. Legale Fußballwetten kommen niemals an den Umsatz, wie ihn die Kriminellen aus Asien organisieren, heran. Die Spieler sind dabei nur die Hilfsarbeiter."

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) reagierte am Montag zunächst zurückhaltend auf die Meldungen aus Den Haag. "Im ersten Moment ist es schockierend, aber es sind noch keine offiziellen Zahlen. Für mich als Offizieller ist es wichtig, diese zu erhalten", sagte Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff: "Wenn die Zahl echt wäre, wäre es natürlich beängstigend."

Die UEFA erklärte, dass sie sich über das Manipulations-Problem "im Klaren" sei. "Im Kampf gegen Manipulationen arbeitet die UEFA bereits mit den verschiedenen Behörden zusammen. Das ist Teil unsere Null-Toleranz-Politik in diesem Bereich", hieß es in einer Mitteilung: "Wenn wir die Details des Berichts erhalten, werden unsere zuständigen Disziplinar-Organe die notwendigen Schritte prüfen."

Meinung

Ein hausgemachter Skandal

Von SZ-Redakteur

Michael Kipp

Der Wett-Skandal kommt nicht überraschend, er ist hausgemacht - und leider menschlich. Die menschliche Komponente ist das stete Streben nach Profit. Das ist nicht nur Wettbetrügern und Sportlern angeboren. Auch Trainer, Werbepartner und Fans wollen immer mehr. Doch wie wollen sie ihre Ziele erreichen? Fair - oder unfair? Die falsche Antwort fällt vor allem dann leicht, wenn es kaum Regeln, Sanktionen und Rahmenbedingungen gibt. Im Fußball gibt es die bisher nicht wirklich. Lebenslange Sperren für Erwischte sind so selten wie Fallrückzieher-Tore. Davor braucht sich kaum ein Unfairer zu fürchten. Der Fußball verweigert sich auch Videobeweisen, die jedem Betrugspfiff die Endgültigkeit nehmen könnten. Gäbe es keine falschen Elferpfiffe mehr, wären die Rahmenbedingungen für den Betrug einfach mies. Der Fußball weigert sich auch, Druck auf Wettanbieter auszuüben, betrugsanfällige Live-Wetten zu verbieten, da er auch deren Sponsorengelder zu gerne nimmt. Und so kommt es, dass der Fußball ein gefundenes Fressen für Wett-Mafia und Co ist. Schließlich gibt es hohen Profit bei geringem Risiko einzufahren. Es wird Zeit, dass der Fußball sich ernsthaft bewegt - sonst wird er irgendwann aufgefressen.

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