Für jeden General Israels ein Anwalt

Jerusalem · Israel hat sich nicht nur auf das militärische Einsatzgebiet in Gaza vorbereitet: Als Konsequenz früherer Waffengänge hat die Armee ihre Einheiten mit Juristen verstärkt, um Vorwürfe über „Kriegsverbrechen“ im Vorfeld zu entkräf ten.

Israels Kampfpiloten sind seit Beginn der Militäroperation im Gazastreifen vor neun Tagen im Dauereinsatz: Tag und Nacht fliegen sie Angriffe auf "Terrorziele" - so die offizielle Bezeichnung: Raketendepots, Abschussrampen, Waffenfabriken, Regierungsgebäude und Hamas-Kasernen, aber auch Wohnhäuser von Kommandeuren. Nur wenige der 1870 Ziele, die bislang angegriffen wurden, waren den Piloten neu: Seit Jahren studieren Israels Geheimdienst und Armee den Landstrich, um Angriffsobjekte auszumachen und sie auf einer langen Liste zusammenzufassen, deren Angriff in endlosen Simulationen eingeübt wird. Was aber kaum jemand weiß ist, dass "jedes Objekt auf dieser Liste im Vorfeld von den Juristen der "Abteilung für Internationales Recht" der Armee abgesegnet werden muss", sagt Armeesprecher Major Arye Shalicar. Kein Bombardement ohne Rechtsbeistand.

Hintergrund ist die Angst der Israelis vor einer Wiederholung des Debakels von 2009, als eine Kommission des UNO-Rats für Menschenrechte Israel für schuldig befand, während der Operation "gegossenes Blei" Kriegsverbrechen begangen zu haben. Jerusalem wies die Anschuldigungen weit von sich. Richter Richard Goldstone, der der Kommission vorstand und nach dem sie benannt wurde, nahm später auch den Vorwurf, Israel habe Zivilisten vorsätzlich oder fahrlässig getötet, zurück. Dennoch war der Schaden enorm. So manch ein Offizier dürfte inzwischen auch persönliche Konsequenzen fürchten. Denn Sympathisanten der Palästinenser haben begonnen, in aller Welt Strafprozesse gegen die Verantwortlichen in der israelischen Politik und der Armee anzustrengen. Um zu verhindern, dass es wieder so weit kommt, müssen die Geheimdienstler und Armeeplaner inzwischen bei jedem Ziel, das sie bombardieren wollen, einem Juristen ihre Beweise vorlegen und Beweggründe ausbreiten. Das gilt sogar jetzt, im Chaos und der Hektik der aktuellen Kriegsführung: "Auch in Echtzeit, wenn plötzlich ein neues Ziel auftaucht, müssen unsere Rechtsberater zuerst grünes Licht geben", sagt Shalicar. Auch die Bodentruppen wurden mit Anwälten "verstärkt".

"Wir greifen ausschließlich militärische Ziele an", beteuert der Leiter der Rechtsabteilung, der laut Armeeprotokoll anonym bleiben muss, im Gespräch mit unserer Zeitung. Dennoch gibt er zu, dass es manchmal schwer sei, klare Entscheidungen zu treffen, vor allem wenn Objekte zweifach genutzt werden: So hat Israel bereits mehr als 500 Wohnhäuser in Gaza bombardiert, meist Häuser von Hamas-Kommandeuren. "Dass sie im Haus wohnen, ist als Kriterium nicht ausreichend", erklärt der Offizier. "Wir greifen nur an, wenn es fundierten Verdacht gibt, dass sich in dem Haus Waffen befinden oder eine Kommandozentrale." Dabei bemühe man sich, unschuldige Opfer zu vermeiden, indem man Zivilisten vor einem Angriff warne. Inzwischen ruft die Hamas ihre Bürger jedoch dazu auf, diesen Warnungen nicht Folge zu leisten: Statt aus den Häusern zu fliehen, um sich in Sicherheit zu bringen, sollen sie ins Haus stürmen, um durch ihre Anwesenheit den Angriff zu verhindern. Bislang kamen so in Gaza mehr als 200 Menschen ums Leben, wahrscheinlich mehr als die Hälfte von ihnen Zivilisten.

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