Miliz YPG Deutsche kämpfen für Syriens Kurden gegen den IS

Damaskus · Auch der syrischen Kurden-Miliz YPG haben sich viele Ausländer angeschlossen. Diese pflegt allerdings enge Kontakte zur verbotenen PKK.

 Kämpfer der Kurden-Miliz YPG im Einsatz gegen den IS: Ihnen haben sich auch viele Ausländer angeschlossen, darunter etliche Deutsche.

Kämpfer der Kurden-Miliz YPG im Einsatz gegen den IS: Ihnen haben sich auch viele Ausländer angeschlossen, darunter etliche Deutsche.

Foto: dpa/Str

Seinen echten Namen will er nicht verraten, und auch nicht die Stadt, in der er zuletzt gelebt hat. Agit, wie er sich heute nennt, stammt aus Norddeutschland, so viel lässt sich aus seinem Dialekt heraushören. Früher schuftete er auf dem Bau. Doch das hat er vor einigen Monaten hinter sich gelassen. Stattdessen ist Agit, Anfang 30, in den Krieg gezogen.

In Syrien hat er sich der Kurdenmiliz YPG angeschlossen, deren Kämpfer dort gegen die letzte Bastion der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vorgehen. Ein blutiger Kampf, dem schon Hunderte zum Opfer gefallen sind. Und in dem Deutsche anderen Deutschen gegenüberstehen, weil auch in den Reihen des IS Landsleute Agits zur Waffe greifen. Doch während die Dschihadisten kurz vor ihrer endgültigen Niederlage stehen, gilt die YPG bislang als Gewinner des Konflikts.

Am Telefon klingt Agits Stimme entschlossen, so, als hätte er keinerlei Zweifel, ob es richtig ist, was er tut. „Ich bin hier, um die Revolution mit Waffen zu verteidigen“, sagt er. Ein Video, das im Januar aufgenommen wurde, zeigt ihn in Uniform und mit Waffe neben anderen ausländischen YPG-Kämpfern, irgendwo zwischen Hügeln im Norden oder Osten Syriens. Er hat sich eine Mütze tief über die Stirn gezogen und einen dicken Schal ums Gesicht gebunden. Nur für die Augen bleibt einer dünner Schlitz frei. „Nieder mit dem Faschismus“, ruft er in die Kamera. „Hoch die internationale Solidarität.“

Die YPG, das ist einerseits die Truppe, die sich in Syrien am Boden zum engsten Bündnispartner des Westens und auch Deutschlands entwickelt hat. Mit Luftunterstützung der internationalen Anti-IS-Koalition hat sie große Teile des zerrütteten Landes vom IS eingenommen und dort eine Selbstverwaltung errichtet. „Rojava“ nennen die Kurden dieses Gebiet, auf Deutsch: „West-Kurdistan“.

Andererseits pflegen die YPG und ihr politischer Arm, die PYD, enge Beziehungen zur kurdischen Arbeiterpartei PKK, die auch in Deutschland auf der Terrorliste steht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht in der PYD eine Schwesterorganisation der PKK. Manche, wie die türkische Regierung, halten auch die YPG für eine Terrororganisation.

Schon in Deutschland sympathisierte Agit mit der YPG und ging auf pro-kurdische Demos. Nach Syrien zu reisen sei schließlich „das Ende eines längeren Weges“ gewesen, erzählt er. Als er im Frühjahr 2018 Bilder von Angriffen der türkischen Armee auf das von der YPG kontrollierte Gebiet Afrin im Nordwesten Syriens sah, kam der Punkt, an dem er sich sagte: „Jetzt gehe ich.“ Enge Freunde waren eingeweiht. Seinen Eltern hinterließ er einen Brief, den sie jedoch erst bekamen, als er Deutschland verlassen hatte.

Noch ist Agit in der Ausbildung. Aufstehen bei Tagesanbruch um 5.30 Uhr. Frühsport, militärisches Training, politische Schulung. Er teilt sich einen Raum mit anderen ausländischen YPG-Kämpfern, sie schlafen auf Matten. Ein karges Leben. Ablenkung? Wenig.

Eine Rückkehr nach Deutschland wäre möglich, wenn auch heikel. Nach Angaben der Bundesregierung wurden gegen Rückkehrer aus den Reihen der Kurden in Syrien oder im Irak Ermittlungen eingeleitet, unter anderem wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Die meisten Verfahren wurden wieder eingestellt. Haftbefehle oder Anklagen hat es bislang keine gegeben.

Auf eine Anfrage der AfD im Bundestag erklärte die Bundesregierung im Dezember, in den vergangenen zehn Jahren hätten sich 101 Deutsche in Syrien oder dem Irak der YPG oder PKK angeschlossen – 65 davon seien zurückgekehrt. Und weiter: „Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass die Rückkehrer Gewaltaktionen/Anschläge in Europa planen.“

Agit lacht nur über mögliche Ermittlungen gegen ihn in Deutschland. Es sei ihm egal, wenn er „in den Bau“ müsse, sagt er: „Wenn ich dafür bestraft werde, dass ich mich hier einer Todesgefahr aussetze, dann sagt das alles darüber aus, wie verrottet unsere Gesellschaft ist.“ Syriens Bürgerkrieg, der seit rund acht Jahren währt, ist ein Konflikt, in dem die Bündnisse quer durch die politischen Reihen laufen. Zu den vielen Irrungen und Wirrungen gehört etwa, dass Agit dort ausgerechnet an der Seite der USA kämpft – des Landes also, das unter Linken als größte imperiale Macht der Welt gilt. Agit sieht das pragmatisch. „Die wollen etwas von uns und wir von denen“, sagt er. „Das ist keine freundschaftliche Beziehung. Wenn die abziehen, weine ich ihnen keine Träne nach.“

Wobei der von US-Präsident Donald Trump angekündigte Abzug der US-Truppen die Kurden unter großen Druck setzen würde. Denn dann droht ein weiterer Angriff der Türkei – und Agit der erste Einsatz an der Front. Am Anfang bereitete dem Deutschen der Gedanke Angst. Dann aber habe er sich beruhigt, sagt er: „Ich werde mich in die Ahnenreihe derer einreihen, die alles dafür getan haben, dass die Welt besser wird.“

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