Frontex-Bilanz EU ringt um Aufrüstung an der Grenze

Brüssel · Immer weniger Migranten kommen nach Europa. Doch die Grenzschutzagentur Frontex rechnet mit neuem Druck. Derweil streiten die Staaten über Maßnahmen.

 Seenotrettung im Mittelmeer: Zwar gehen die Zahlen auf dieser Flüchtlingsroute zurück. Aber anderswo steigen sie, mahnt die EU-Grenzbehörde.

Seenotrettung im Mittelmeer: Zwar gehen die Zahlen auf dieser Flüchtlingsroute zurück. Aber anderswo steigen sie, mahnt die EU-Grenzbehörde.

Foto: AP/Olmo Calvo

150 114 – so viele Flüchtlinge ohne Asylanspruch kamen im vergangenen Jahr in die Europäische Union. Das waren 27 Prozent weniger als im Vorjahr und im dritten Jahr in Folge ein Rückgang. Für den Chef der EU-Grenzschutz-Agentur Frontex, Fabrice Leggeri, ein klares Zeichen: „Was irreguläre Ankünfte betrifft, stehen wir gerade keiner brennenden Krise gegenüber“, sagte der Franzose gestern in Brüssel, wo er die Risiko-Analyse für das laufende Jahr vorstellte. Die geht von einer Zunahme aus.

Über 190 930 Zuwanderungen ohne Anspruch auf Asyl dürften es 2019 werden, prognostizieren die Experten der EU-Behörde, die ihren Sitz in Warschau hat. Rund 148 000 Rückführungen sollten möglich sein, ein Rückgang um fünf Prozent. Frontex selbst wird wohl weitere 13 700 Menschen in ihre Heimatländer bringen, ebenfalls drei Prozent weniger als im Vorjahr. Mit einem Plus um vier Prozent rechnet Leggeri dagegen bei der Festnahme von Menschenhändlern (10 642).

Die Schmuggler weichen offenbar von der bisher oft benutzten Route ab – sie verlief von Libyen aus nach Italien. Im Vorjahr waren es nur noch 23 000 Menschen, die ohne Aussicht auf Asyl dort ankamen. Das sind 80 Prozent weniger als noch 2017. Rom hatte seine Häfen zeitweise für private Rettungsschiffe geschlossen. Doch das habe nicht zu einer wirklichen Entlastung, sondern lediglich zu einer Verlagerung geführt, sagte Leggari: So stieg die Zahl derer, die von Tunesien aus Richtung Spanien flohen, auf 57 000 – 160 Prozent mehr als 2017. Und auch die Balkanroute wird wieder deutlich mehr genutzt: 56 560 Menschen (plus 34 Prozent) kamen von der Türkei über den Landweg nach Griechenland, ohne dass sie eine Aussicht auf ein Bleiberecht hatten.

Zwar wird in der EU längst über eine Ausweitung der Frontex-Agentur diskutiert – schließlich hatten die Mitgliedstaaten sich immer wieder für eine Aufstockung der EU-Grenzschützer bis 2020 ausgesprochen. Doch der Prozess stockt. Beim Treffen der Innenminister im Dezember wollten plötzlich viele ­Ressortchefs nicht mehr so recht mitziehen. Selbst Bundesinnenminister Horst Seehofer, damals noch CSU-Chef und ein starker Befürworter des europäischen Grenzschutzes, plädierte für einen Ausbau erst bis 2025. Gestern berieten die Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel über einen Kompromissvorschlag der rumänischen Ratspräsidentschaft. Er sieht eine Aufstockung von derzeit 1500 Experten auf 7000 bis zum Jahr 2024 und dann bis 2027 auf 10 000 vor. Doch der eigentliche Knackpunkt liegt in der Aufgabenstellung der Agentur.

Denn die EU-Kommission, der Frontex untersteht, drängt darauf, die Kompetenzen deutlich auszuweiten und EU-Polizisten unter Umständen auch gegen den Willen einer Regierung in deren Land zu stationieren, sollten die eigenen Grenzschutz-Beamten überfordert sein. Offenbar fürchten nun einige Mitgliedstaaten, dass die EU-Zentrale ihnen so künftig ungehindert auf die Finger gucken und Missstände leichter aufdecken könnte. Die EU hat in ihrem Haushaltsentwurf für die sieben Jahre ab 2021 immerhin 43 Milliarden Euro vorgesehen, um die Agentur mit mehr Personal und neuer Ausrüstung wie Fahrzeugen und Schiffen auszustatten. Doch der Streit schwelt vorerst weiter.

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