Fröhliches Familientreffen und eine Fremde

Leipzig · 150 Jahre Sozialdemokratie. Zum Jubiläum feiert die SPD sich und ihre Historie als Volkspartei. Lob erhält sie dabei auch über die Parteigrenzen hinweg. Da lässt sogar Alt-Kanzler Schmidt mal das Rauchen sein.

Draußen, auf dem Leipziger Markt, ist die 150-Jahr-Feier der SPD ein ziemlich banales "Geburtstagsfest" mit Bühne, Hüpfburg, Biertischen und Infoständen. Es gibt T-Shirts, auf denen der Wahlkampfslogan "Das Wir entscheidet" steht. Drinnen, im Gewandhaus, wo der offizielle Festakt stattfindet, ist dieser historische Tag ein einziges großes Familientreffen. Es ist so fröhlich und harmonisch, dass sich auch Gäste, die hier keine Verwandtschaft haben, wie Kanzlerin Angela Merkel, recht wohl fühlen können.

Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier etwa begrüßt freudig Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, mit dem er über Pfingsten in der Steiermark gerade Radlerurlaub gemacht hat. Manuela Schwesig, Parteivize, lässt sich herzen, weil sie ihren 39. Geburtstag feiert. Die Grünen sind mit fast ihrer gesamten Spitze gekommen, für die Linke ist Parteichefin Katja Kipping da, die FDP hat Generalsekretär Patrick Döring geschickt. An so einem Geburtstag ruht aller Streit. Klar, dass auch die Repräsentanten der höchsten Verfassungsorgane erschienen sind. Dazu viele Vertreter befreundeter Parteien aus aller Welt. Merkel begrüßt die Altvorderen der SPD, Vogel, Schmidt, Schröder, als Frankreichs Präsident François Hollande den Saal betritt.

Familientreffen ist die richtige Bezeichnung, nicht Klassentreffen, denn das Wort Klasse hat die Partei schon früh aus ihrem Fundus gestrichen. Bundespräsident Joachim Gauck lobt das in seiner Rede besonders. Die SPD habe schon bei der Gründung des "Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins" vor 150 Jahren im Leipziger Lokal "Pantheon" auf Reformen gesetzt hat statt auf Revolution, und sei dann mit dem Godesberger Programm 1959 auch offiziell eine Volkspartei für alle geworden ist. Das und die mutige Rede von Otto Wels im Reichstag gegen die Nazis wird immer wieder erwähnt, auch von Hollande. Der übrigens zitiert das Godesberger Programm falsch. "So viel Markt wie möglich, so viel Planung wie nötig" steht dort, es ist von Karl Schiller. Doch der Franzose hat genau umgekehrt "so viel Markt wie nötig, so viel Solidarität wie möglich" in Erinnerung. Er ist eben eher Staatssozialist. Erstaunlicherweise lobt er die Reformpolitik Gerhard Schröders. "Diese mutige Entscheidung erlaubt es Ihrem Land, heute vor anderen die Nase vorn zu haben." So viel Ehrerbietung wird dem Altkanzler von den eigenen Genossen nicht zuteil.. Ein eingespieltes Video bezeichnet die Agenda-Reformen als "umstritten, aber von vielen anerkannt".

So lange alles schön historisch und harmonisch ist, klatscht Angela Merkel eifrig mit. Doch der aktuelle SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel macht dann doch noch klar, dass seine Partei kein bloßer Traditionsverein ist, sondern die nächsten Wahlen gewinnen will. Als Gabriel sagt, Europa müsse sozialer und demokratischer werden, "man könnte auch sagen: sozialdemokratischer", bleiben Merkels Hände unten, und auch, als Gabriel von der Zunahme der prekären Arbeit spricht. Zuletzt verhaspelt sich der SPD-Chef und nennt die Bundeskanzlerin aus Versehen "Bundespräsidentin". Er korrigiert sich grienend: "Oh, ich bin der Zeit voraus." Die CDU-Chefin nimmt es hin. Ihr Herausforderer Peer Steinbrück übrigens redet nicht; man wollte niemanden provozieren.

Wirkliche Misstöne gibt es eigentlich nur von außen, von links. Ein paar Demonstranten halten Transparente in die Höhe, als Schröder vorfährt: "Zehn Jahre Armut per Gesetz" steht darauf. Die alte Trennung der Arbeiterbewegung zeigt sich noch. Im Internet ätzt Oskar Lafontaine über die "unverzeihlichen Fehler" der Partei, der er selbst einst vorstand. Er listet die Agenda-Politik, die Kriegseinsätze und "eine europäische Krisenpolitik, die die Völker ins Elend treibt" auf. Erst, wenn die SPD dem abschwöre, "wird die einst beschworene Mehrheit links der Mitte wieder möglich".

Das mit der fehlenden Mehrheit ist ein wunder Punkt, doch ist in Leipzig eher der Blick auf Erfolge angesagt. Die Durchsetzung des Frauenwahlrechts, der Sozialstaat, Brandts Ostpolitik werden als Marksteine genannt. Die SPD trifft einen selbstbewussten Ton, auch mit dem kulturellen Beiprogramm, das von Iris Berben bis zu A cappella reicht. Da schunkeln viele mit. Und Helmut Schmidt schafft es sogar, zwei Stunden lang nicht zu rauchen.

Zum Thema:

Am RandeZum Geburtstag hat Landeschef Heiko Maas "große Errungenschaften" der SPD gewürdigt. In 150 Jahren "Kampf um Solidarität, Gleichheit und Freiheit" hätten Sozialdemokraten "immer ohne Rücksicht auf das eigene Schicksal für ihre Überzeugungen gekämpft". Lob kam auch von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU). Er twitterte: "Ich gratuliere der SPD zu ihrem 150. Geburtstag! Sie hat früher Vieles richtig gemacht! Deshalb kann man ihr heute nicht richtig böse sein!" red

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort