Kompromiss der Union Friede, Freude, (keine) Obergrenze

Berlin · Die Union feiert ihren Kompromiss in der Flüchtlingspolitik. Doch Fragen bleiben offen – nicht nur mit Blick auf das Jamaika-Projekt.

Kompromiss der Union: Friede, Freude, (keine) Obergrenze
Foto: SZ/Müller, Astrid

Wenn Horst Seehofer tatsächlich wohlgelaunt ist, dann hält er gerne ein zweites Mal Hof. So auch am gestrigen Montag. Die Pressekonferenz mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel ist längst vorbei, doch der CSU-Chef steht immer noch mit Journalisten vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin zusammen, um ihnen die neue, heile Unionswelt in der Migrationspolitik zu erklären.

Beim Verhandlungsmarathon bis in den späten Sonntagabend habe er sogar um 22 Uhr noch einen Rotwein trinken wollen, erzählt der Bayer stolz. Denn nach zehn Stunden seien alle „sehr zufrieden“ gewesen. „Schöne Weihnachten“, witzelt Seehofer noch. Er grinst, schnauft und geht zu seiner Limousine. Schöne Bescherung könnte man auch sagen. Zumindest versuchen Seehofer und Merkel, die Ergebnisse des Unions-Schwestern-Gipfels als eine solche für beide Parteien zu verkaufen.

Müde sehen sie beide bei ihrer Pressekonferenz aus. Ein CDU-Präsidiumsmitglied lässt durchblicken, dass die Gespräche am Vortag bei „Züricher Geschnetzeltem“ und „saisonalem Süppchen“ über Obergrenze und Zuwanderung alles andere als einfach gewesen sind. Die Stimmung schwankte. „Wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht“, betont auch die Kanzlerin – wobei man nicht genau weiß, ob sie damit zugleich die vergangenen beiden Jahre meint, in denen die Schwesterparteien erbittert um die Obergrenze für Flüchtlinge gekämpft haben. „Wir können sagen, dass wir einen klassischen Kompromiss gefunden haben“, lobt Merkel nun. „Jede Seite ist aufeinander zugegangen.“

Herausgekommen ist ein Ergebnis, das auf eineinhalb Seiten Papier passt. Das Wort Obergrenze kommt darin nicht vor, gleichwohl sollen pro Jahr maximal 200 000 Menschen aufgenommen werden. Auf Ausnahmen und Sondersituationen wird verwiesen, auch darauf, dass man sich zum Recht auf Asyl bekennt, das keine Obergrenze vorsieht. Das war Merkel wichtig. Für Seehofer hingegen war besonders bedeutsam, den Bundestag und damit alle Parteien einzubinden, wenn die genannte Zahl „wider Erwarten durch internationale und nationale Entwicklungen nicht eingehalten wird“. Ein Alleingang Merkels wie im Jahr 2015 soll damit verhindert werden. Von Berlin aus stimmt sich Seehofer noch in einer Telefonschaltkonferenz mit den CSU-Spitzen in München ab. Auch sie seien „sehr zufrieden“ gewesen, erzählt der CSU-Chef. Es sind seine Lieblingswörter an diesem Tag.

Doch Fragen bleiben. Hält der neue Unions-Friede? „Der hält“, sagt ein führender CDU-Mann mit Nachdruck. Man müsse ja für die anstehenden Sondierungen mit den Grünen und der FDP handlungsfähig sein. Aber warum erst jetzt der Kompromiss? Ein Journalist hat nach gerechnet: 23 Monate, über 600 Tage und mehr als 16 000 Stunden seien ins Land gegangen, seit die CSU erstmals eine Obergrenze gefordert habe. Merkels Antwort darauf ist arg verschwurbelt. Schließlich fällt ihr ein: „Alles hat seine Zeit.“ Und Seehofer ergänzt: „Ich stimme dem Satz zu.“ Beide wollen die Vergangenheit jetzt ruhen lassen.

Ursprünglich wollte der Bayer ja niemals einen Koalitionsvertrag unterschreiben, der nicht das Wort „Obergrenze“ enthält. Da ist Seehofer inzwischen geschmeidiger. Ihm reicht, dass die Zahl 200 000 vereinbart worden ist. Und er hofft, damit seine innerparteilichen Kritiker in München zu besänftigen. Zu guter Letzt stellt sich noch die Frage, wie man den Kompromiss bei Grünen und FDP durchsetzen will. Das wissen die beiden Unionsspitzen selbst nicht so genau. „Ich bin ja auch gelegentlich jemand, der gerne mal in der Öffentlichkeit so etwas wie eine rote Linie definiert“, merkt Seehofer an. „Jetzt ist aber die Zeit, ergebnisoffen zu reden.“ Das werden er und Merkel wohl auch müssen.

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