Freispruch in Sicht

Hannover · Richter Rosenow würde den Korruptionsprozess gegen Ex-Präsident Wulff am liebsten einstellen. Wirkliche Schuld sei nicht nachweisbar. Doch das sieht der Staatsanwalt anders. Er protestiert gegen den „vorweggenommenen Freispruch“.

Christian Wulff will nicht lächeln. Zumindest nicht jetzt und nicht in der Öffentlichkeit. Es ist 15.07 Uhr und gerade hat Richter Frank Rosenow im beinahe voll besetzten Saal 127 des Landgerichts Hannover angeregt, das Korruptionsverfahren gegen den Ex-Bundespräsidenten einzustellen. "Wir sehen die Chance, das Verfahren abzukürzen", sagt Rosenow zu Beginn seines mit Spannung erwarteten Zwischenfazits. Anlass sei die mangelnde strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe. Ferner habe die Kammer bislang keine bewusste Annahme von Vorteilen feststellen können.

Während auf den Besucherbänken das Gemurmel lauter wird und auch das Wort Freispruch immer wieder fällt, gibt sich Wulff gelassen. Der studierte Jurist weiß nur zu gut, dass erst ein Urteil das seit Mitte November laufende Verfahren beendet. Das soeben gehörte Zwischenfazit ist allenfalls ein moralischer Etappensieg, also schweigt Wulff lieber, freut sich still und staatsmännisch gelassen. Nur seine teils schwere Atmung und seine nervös zusammengedrückten Hände verraten die Anspannung, die seit Beginn der Ermittlungen im Februar 2012 auf ihm lastet.

Und Wulffs Vorsicht scheint nicht unbegründet. Nach einer kurzen Beratungspause verliest Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer eine perfekt ausformulierte Replik, deren Kern auch für Nicht-Juristen unmissverständlich ist: Wir sehen das ganz anders und wollen weiter verhandeln. Wulff und der wegen Vorteilsgewährung angeklagte Filmfinancier David Groenewold hätten es versäumt, in den bisherigen Verhandlungstagen Beweise für ihre Unschuld vorzulegen.

Der Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen sei durch Widersprüche, Verschleierung und die fehlende Bereitschaft, sich im Verfahren zu äußern, nicht gestiegen, betont der Mann, der für viele nur der "Chefankläger" ist. Es gebe "keinen Zweifel am Wissen und Wollen" von Wulff, sich rund um den Oktoberfestbesuch 2008 von Groenewold einen Teil seiner Kost- und Logiskosten bezahlt haben zu lassen. "Wulff musste die fehlenden Babysitterkosten auf seiner Rechnung vermissen", betonte Eimterbäumer. Und dass sich die bisher gehörten Zeugen, nur an wenige Umstände des Festbesuchs 2008 erinnern können, sei zu erwarten gewesen. Aber: "Radieschen, Brathendl und Bierkrüge sind für mich nicht maßgeblich." Das Gericht müsse sich vielmehr über die Gesamtschau ein Urteil bilden, froderte der Oberstaatsanwalt.

Wie es sich für einen Anwalt gehört, hält Wulffs Verteidiger Michael Nagel prompt dagegen: "Es ist hundertprozentige Freude angesagt. Das Zwischenfazit stimmt mit dem überein, was die Verteidigung die ganze Zeit vorgetragen hat, es kommt nur noch ein Freispruch infrage." Eine einfache Einstellung dagegen nicht.

Aus Sicht des Strafrechtsprofessors Uwe Hellmann von der Uni Potsdam liegt die Verteidigung mit ihrer Einschätzung näher an der Wahrheit: "Das war schon eine gewisse Vorwegnahme des Freispruchs", sagt er. Die Chance auf eine Verkürzung des Verfahrens sei ein "starkes Indiz" für einen sich anbahnenden Freispruch. Würde die Kammer auch nur einen kleinen Zweifel daran haben, hätte das Gericht eine Verkürzung gar nicht andeuten dürfen.

Trotz der eindeutigen Tendenz des Zwischenfazits wäre auch ein Freispruch keine Niederlage für die Staatsanwaltschaft, betont der Potsdamer Professor. "Strafprozesse sind zu ernst, um von Sieg und Niederlage zu sprechen." Er rechne jedoch damit, dass Eimterbäumer bis zur Fortsetzung am 2. Januar intern auch mit seinem Vorgesetzten diskutieren werde. "Aber letztlich ist das Zwischenfazit nach dem bisherigen Verlauf genau so zu erwarten gewesen."

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