Freiheitskämpfer oder Terrorist?

Sarajevo · Am 28. Juni 1914 erschoss der serbische Nationalist Gavrilo Princip in Sarajevo den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand. Es war der Beginn eines katastrophalen Flächenbrandes, der ganz Europa überzog.

Zum 100-jährigen Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs war eine große Versöhnungsfeier in Sarajevo geplant. Dort hatte der serbische Nationalist Gavrilo Princip am 28. Juni 1914 den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand erschossen und damit den Ersten Weltkrieg angeschoben. Teilnehmen sollten der französische Staatspräsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gehofft wurde sogar auf den Papst, der eine Friedensbotschaft in die Welt schicken sollte.

Jetzt kommt alles anders und vor allem viele Nummern kleiner. Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer wird da sein, weil sein Land den Auftritt der Wiener Philharmoniker im wiederaufgebauten historischen Rathaus von Sarajevo mit einer Finanzspritze möglich machte. Daneben haben sich nur wenige Staatsoberhäupter aus der Region angesagt. Top-Politiker aus der benachbarten Republik Serbien und die Spitze der bosnischen Serben fehlen gänzlich. Die Serben feiern am selben Tag auf einer Gegenveranstaltung in der Touristenstadt Andricgrad. Und mehr noch: Einen Tag vor dem 100. Jahrestag der Ermordung des österreichischen Thronfolgers haben die Serben dem Attentäter sogar ein Denkmal errichtet: Bosnisch-serbische Spitzenpolitiker enthüllten gestern eine Princip-Statue. Mehr als tausend Menschen bejubelten das Standbild, das im serbisch kontrollierten Ost-Sarajevo steht. "Wir sind für immer Freiheitskämpfer", rief Nebojsa Radmanovic, Vertreter der bosnischen Serben im Staatspräsidium von Bosnien-Herzegowina. Dass die muslimische Mehrheit Sarajevos in Princip dagegen einen Terroristen sieht, macht deutlich: Hundert Jahre nach den Schüssen von Sarajevo ist sich die Nachwelt uneinig in ihrem Urteil über Princip. Die einen verehren den zur Tatzeit 19-Jährigen als Helden, der die Serben und mit ihnen alle Slawen von der österreichisch-ungarischen Besatzung befreien wollte. Die anderen sehen in ihm einen Terroristen, der am Ursprung einer der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts stand. "Ich würde ihn weder als Verebrecher noch als Terroristen betrachten", sagt der Historiker Christopher Clark, der mit dem Buch "Die Schlafwandler" ein vielbeachtetes Werk über den Ersten Weltkrieg vorgelegt hat. Princip sei Teil der "komplexen Geschichte Europas". Alle Großmächte der Zeit hätten Anteil am Ausbruch des Kriegs gehabt.

Gavrilo Princip wird 1894 in dem abgeschiedenen Dorf Oblja im heutigen Bosnien geboren. Mit 13 folgt er seinem älteren Bruder nach Sarajevo , wo er 1911 das Abitur macht. Er beginnt, sich für revolutionäre und anarchistische Ideale zu begeistern. Schließlich wird der spätere Todesschütze in die Bewegung Mlada Bosna (Junges Bosnien) aufgenommen - eine Gruppe kommunistisch und anarchistisch gesinnter Serben, Kroaten und Muslime, geeint vom "Hass auf das österreich-ungarische Reich", wie der Schriftsteller Momcilo Zlatanovic sagt. Ihr Ziel: alle Slawen in einem einzigen Staat zu vereinen.

1914 erfährt die Gruppe von dem bevorstehenden Besuch Franz Ferdinands in Sarajevo , und der Plan für das Attentat wird geboren. Am Tag des 28. Juni nimmt die Kolonne von Franz Ferdinand einen falschen Weg und muss umdrehen. Durch Zufall kommt der Wagen mit dem Thronfolger so vor Princip zu stehen, dass dieser nur vorzutreten braucht, um den Erzherzog und seine Frau aus nächster Nähe zu erschießen. Der Anschlag führt schließlich zur "Juli-Krise", während der sich die Spannungen zwischen den europäischen Großmächten verschärfen. Am 28. Juli 1914 erklärt Österreich-Ungarn Serbien den Krieg - das millionenfache Sterben beginnt.

Princip selbst entgeht der Todesstrafe, weil er zur Tatzeit noch keine 20 Jahre alt ist, und wird zu 20 Jahren Haft verurteilt. Doch schon 1918 stirbt er, geschwächt durch Tuberkulose und abgemagert bis auf die Knochen, im Gefängnis von Theresienstadt im heutigen Tschechien - wenige Monate vor dem Ende des Krieges, den seine Tat mit ausgelöst hat.

Und heute? Beide Seiten führen einen "Tafelkrieg": Zuerst brachten die muslimischen Bosnier an dem wiederaufgebauten historischen Rathaus eine Marmortafel an, die auf die Zerstörung des Gebäudes 1992 durch "serbische Kriminelle" hinweist. Die Serben antworteten mit einer Tafel, die an eine Militärparade des damaligen Oberbefehlshabers Ratko Mladic im gleichen Jahr erinnert - aktuell steht Mladic als Angeklagter vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal. Auch beflügeln die jetzt wieder angeheizten tiefen politischen Abneigungen der drei Völker in Bosnien den Wunsch der serbischen Landeshälfte nach Abspaltung vom Gesamtstaat. Nach dem im September geplanten Unabhängigkeitsreferendum in Schottland sei die "Serbenrepublik" am Zuge, trommelt ihr Präsident Milorad Dodik seit Wochen. Eine Zielmarke kennt er auch schon: 2018.

Zum Thema:

Die Juli-Krise23. Juli: Wien stellt ein Ultimatum an Serbien.25. Juli: Serbien akzeptiert alle Forderungen. Wien hält die Antwort aber für unbefriedigend.30. Juli: Zar Nikolaus II . ordnet die Generalmobilmachung an.1. August: Berlin erklärt Russland den Krieg, zwei Tage später Frankreich.4. August 1914: Großbritannien erklärt dem Reich den Krieg. dpa

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