Freie Fahrt nur mit grüner Plakette

Berlin. Es ist manchmal schon bemerkenswert, wie schleichend deutsche Städte Umwelt- und Gesundheitspolitik machen. Zunächst sperrten sie sich jahrelang lautstark gegen Forderungen der Europäischen Kommission in Brüssel, Feinstaub zu messen und daraus an neuralgischen Verkehrsknotenpunkten unbequeme Schlussfolgerungen für die Autofahrer zu ziehen

Berlin. Es ist manchmal schon bemerkenswert, wie schleichend deutsche Städte Umwelt- und Gesundheitspolitik machen. Zunächst sperrten sie sich jahrelang lautstark gegen Forderungen der Europäischen Kommission in Brüssel, Feinstaub zu messen und daraus an neuralgischen Verkehrsknotenpunkten unbequeme Schlussfolgerungen für die Autofahrer zu ziehen. Inzwischen ist ein umfassendes Netz an Umweltzonen entstanden, das den gesundheitsschädlichen Feinstaub mindern soll.

Geschäftsleute protestierten

Anfangs hieß es oft, irgendwie den Verkehr gerade im Umfeld von Einkaufs- und Geschäftszentren einzudämmen oder die Blechlawinen von Zentren wegzuleiten. Es gab viel Aufregung bei den örtlichen Geschäftsleuten. Im Jahr 2008 dann starteten Berlin und Hannover die ersten Umweltzonen, in denen fortan Besitzer alter "Diesel-Stinker" draußen bleiben sollten. Diese Autofahrer bekamen deshalb keine Plaketten. Köln folgte wenig später.

Wer eine rote Plakette hatte, dessen Dieselfahrzeug stieß immer noch zuviel Ruß aus, durfte aber die reglementierte Verkehrszone noch passieren - ebenso wie die Fahrer von umweltfreundlichen Euro-Norm 4 Diesel-Autos mit grünen Plaketten sowie von Modellen der älteren Norm 3 mit gelben Plaketten. Rot und Gelb werden nun in der schärfer gestellten zweiten Stufe in Berlin und Hannover mal eben weggekickt.

Dies zwingt zum Nachrüsten eines Rußpartikel-Filters in den Diesel-Fahrzeugen, um an die begehrte grüne Plakette zu kommen.

330 Euro Fördergeld

Das aber stellt in Berlin derzeit ein erhebliches Problem dar, weil die Filter-Hersteller nicht mit dem neuen Nachfrage-Boom mithalten können. Ausgelöst wurde er durch die plötzliche Entscheidung der Bundesregierung, die Filterförderung mit 330 Euro wenigstens noch 2010 fortzusetzen, und möglicherweise durch die späte Erkenntnis der Autofahrer, dass die Politik doch mit einer solchen Verschärfung ernst macht. Experten verweisen darauf, dass das Problem der Nachrüstung in gewissem Umfang schon durch die Abwrackprämie von 2500 Euro entschärft war: Wer gegen Verschrottung seines "Stinkers" günstig an einen Neuwagen kam, hatte mit Nachrüstung nichts mehr zu tun. Alles zusammen genommen dürfte zur Absenkung der Feinstaub-Messwerte in der nächsten Zeit führen, so Kommunalpolitiker.

Polizei drückt ein Auge zu

Fast unbemerkt hat sich die Zahl der Kommunen mit solch verkehrsreglementierten Zentren auf 40 erhöht. Ob an der Ruhr oder in Baden-Württemberg: Das Netz an Umweltzonen breitet sich weiter aus, auch wenn mit den örtlichen Geschäftsleuten und Automobilclubs noch immer über Bürokratie, Entmündigung der Autofahrer und Geschäftsaufgabe gestritten wird.

Die Kommunen haben zwar die umweltpolitischen Zügel etwas straffer angezogen, halten sie aber flexibel: In Berlin zum Beispiel dadurch, dass diejenigen, die Filter einbauen wollen, aber derzeit keine bekommen, mit Hilfe einer Werkstatt-Bescheinigung unbehelligt mit einem gelben Aufkleber durch die Umweltzone fahren können. Auch wenn dort noch ein "Gelber" unbefugt angetroffen wird, soll die Polizei wenigstens im Januar kommenden Jahres vorerst noch ein Auge zudrücken. Und: Für Fahrzeuge, die nachweislich nicht mit Rußfiltern nachrüstbar sind, hatten die Wirtschafts-Verbände im Sommer dieses Jahres ein vereinfachtes Verfahren ausgehandelt: Eine 50 bis 75 Euro teure Bescheinigung von Tüv und Dekra ermöglicht ihnen vorerst noch freie Fahrt.

Hintergrund

Zum neuen Jahr steigt die Zahl der deutschen Städte mit Umweltzonen für Autos weiter. Teils verschärfen die Kommunen ihre Vorschriften für den Schadstoff-Ausstoß auch. Autofahrer sollten sich deshalb vor Reisebeginn über die Bestimmungen der einzelnen Städte informieren, sonst droht ein Einfahrtverbot.

Was sind Umweltzonen? Umweltzonen sind Bereiche, für die besondere Schadstoffgrenzwerte gelten und in die deswegen nur bestimmte Autos einfahren dürfen.

Welche Autofahrer sind betroffen? Alle. Ob Durchgangsverkehr, Anwohner, Besucher oder Touristen - in Umweltzonen darf nur fahren, wer eine so genannte Feinstaubplakette in einer der Ampelfarben an der Windschutzscheibe hat.

Welche Autos dürfen in Umweltzonen fahren? Das hängt davon ab, wie hart die Vorgaben der Städte für ihre Umweltzonen sind und welche Schadstoff-Werte die Autos haben. Grundsätzlich bekommen Autos Feinstaubplaketten mit grüner, gelber oder roter Farbe, je nach ihrem Schadstoff-Ausstoß.

Wo bekommen Autofahrer Feinstaub-Plaketten für Autos und wieviel kosten sie? Die Aufkleber gibt es bei Tüv oder Dekra. Sie kosten meist zwischen fünf bis zehn Euro.

Gibt es Umweltzonen im Saarland? Nein. Nach Angaben des saarländischen Umweltministeriums gibt es derzeit keine Veranlassung, Umweltzonen einzurichten, da die Messwerte teilweise deutlich unter den Grenzwerten liegen. afp/tho

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