Frau Merkel erklärt uns die WeltBaustellen und Beschlüsse der schwarz-gelben Koalition

Berlin. Wenn die Reihen in der Bundespressekonferenz bis auf den letzten Platz gefüllt sind und dutzende Fotografen um die besten Positionen rangeln, dann ist höchste politische Prominenz im Anmarsch. Das war bei Helmut Kohl so, bei Gerhard Schröder natürlich auch

Berlin. Wenn die Reihen in der Bundespressekonferenz bis auf den letzten Platz gefüllt sind und dutzende Fotografen um die besten Positionen rangeln, dann ist höchste politische Prominenz im Anmarsch. Das war bei Helmut Kohl so, bei Gerhard Schröder natürlich auch. Und seit 2006 beehrt Angela Merkel nun schon Sommer für Sommer die Hauptstadt-Korrespondenten, um sie mit ein paar mehr oder minder gewichtigen Äußerungen zu füttern, bevor es in den Privat-urlaub geht. Diesmal steht das Spektakel für Merkel unter keinem guten Stern. Gerade erst ist wieder ein Landesfürst mit CDU-Parteibuch davongelaufen. Das Forsa-Institut registriert einen dramatischen Liebesentzug für Schwarz-Gelb. Und die Ministerriege zerpflückt das mühsam ausgehandelte Sparpaket. Doch die Kanzlerin strahlt in ihrem champagner-farbenen Blazer, als wollte sie dem Sonnenschein hinter den großen Glasfenstern Konkurrenz machen. Ja, das seien "arbeitsreiche und zum Teil auch turbulente Monate" gewesen. Aber Deutschland habe sich in der Krise "stärker erwiesen als gedacht". Der Arbeitsmarkt erlebe "ein kleines Wunder". Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz seien Konjunkturimpulse gesetzt worden. Obendrein habe sich diese Regierung auch erfolgreich der Stärkung von Bildung und Forschung verschrieben. Wenn einen schon niemand lobt, dann muss man es halt selber tun, wird sich Merkel gesagt haben. Um so mehr rühren die Journalisten bei der anschließenden Frage-Runde in den Wunden von Schwarz-Gelb. Ob sie denn angesichts des verheerenden Erscheinungsbildes ihrer Koalition besonders urlaubsreif sei, wie sie sich die Streitereien erkläre und was sie von der polarisierenden Rolle einzelner Unionskollegen halte. Auch an solchen Stellen wird Merkel nicht etwa unwirsch, sie strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. "Ich bin jedes Jahr sehr erfreut, wenn es in Richtung Urlaub geht", umschifft Merkel die Klippen. Ja, und der Umgangston unter den Kabinettskollegen sei sicher "nicht akzeptabel" gewesen. Aber wie das manchmal im Leben so sei: Wenn es mit einem neuen Partner ans Regieren gehe, "stellt es sich als etwas rumpeliger heraus, als man dachte". Überhaupt ist Streit für Merkel nichts Schlechtes. Wenn er der Sache dient. Deshalb könne sie auch nicht versprechen, dass es in Zukunft keinerlei "Diskussion" mehr gebe. "Da, glaube ich, hat sich die Koalition aber ein Stück weit zusammengerauft." In dieser Diktion wirken selbst die massiven Störmanöver aus Bayern wie ein Dummer-Jungen-Streich: "Ich würde nicht abstreiten, dass Herr Seehofer auch mal polarisieren kann", lächelt die Kanzlerin. "Aber die wesentliche Zeit verbringt er nicht damit." Immerhin schwört die Kanzlerin ihre Truppen dann noch auf anstrengende Zeiten ein. Die Gesundheitsreform muss in Paragraphen gegossen werden. Auch die vom Bundesverfassungsgericht aufgetragene Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze für Kinder harrt einer Lösung. Und das geplante Energiekonzept inklusive einer Verlängerung der Atomlaufzeiten wird ebenfalls für Zündstoff sorgen. "Da sind viele Entscheidungen zu treffen", wird Merkel plötzlich nachdenklich. Ob die Koalition das alles überlebt? Dieser Einwand ist für die Kanzlerin keine Frage. Das Bündnis bleibe bis zur nächsten Bundestagswahl stabil. Und was sie selbst betrifft, da "können Sie ganz fest davon ausgehen, dass Sie mich nach den Ferien wiedersehen". Ihren Urlaub wird Merkel übrigens am Wochenende mit einem Besuch der Wagner-Festspiele in Bayreuth beginnen. Dabei hat sie zuletzt eigentlich schon genug Theater erlebt.BAUSTELLEN:Atom/Energie: Längere Laufzeiten der Atommeiler sollen bis Herbst mit dem Energiekonzept geklärt sein. Der Wirtschaftsflügel der Union und die FDP wollen, dass Kernkraftwerke mindestens 15 Jahre länger am Netz bleiben dürfen. Strittig ist auch die Einbeziehung des Bundesrats.Steuern: Weitere Steuersenkungen, um auf das im Koalitionsvertrag vereinbarte Entlastungsvolumen von bis zu 24 Milliarden Euro im Jahr zu kommen, wurden vertagt. Es geht zunächst um Steuervereinfachung. Die reduzierten Mehrwertsteuersätze sollen im Herbst auf den Prüfstand.Gemeindefinanzen: Es gibt Differenzen über die Zukunft der Gewerbesteuer. Bis Mitte Oktober sollen Lösungen für stabilere Finanzen und Steuereinnahmen der Kommunen auf dem Tisch liegen.Bildung: Bund und Länder haben sich zwar auf einen Qualitätspakt für eine bessere Lehre verständigt. Dem Länderwunsch nach einem höheren Anteil vom Mehrwertsteueraufkommen erteilte der Bund bis 2013 eine Absage. Ein höheres Bafög ist vorerst weiter offen.Bundeswehr: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg legt Vorschläge für die wohl tiefgreifende Reform vor. Die Truppe soll deutlich verkleinert werden, möglicherweise wird die Wehrpflicht ausgesetzt oder abgeschafft.Vorratsdatenspeicherung: Das Bundesverfassungsgericht hat die massenhafte Speicherung von Internet- und Telefondaten ohne Anlass gekippt. Sollen Ermittler solche Daten nutzen können, muss ein neues Gesetz her. Differenzen gibt es auch beim Thema Internetsperren.Arbeitnehmerdatenschutz: Nach den Datenschutzskandalen bei Lidl und der Deutschen Bahn sollen Arbeitnehmerrechte verbessert werden.Sicherungsverwahrung: Die Sicherungsverwahrung - besonders gefährliche Täter bleiben nach der Haft eingesperrt - soll reformiert werden. Eckpunkte stoßen in der Union auf Kritik.AUF DEN WEG GEBRACHT: Gesundheit: Nach den bisherigen Eckpunkten soll 2011 der Beitragssatz in der Gesetzlichen Krankenversicherung von 14,9 auf 15,5 Prozent steigen. Künftige weitere Mehrausgaben für Ärzte, Kliniken und Arzneimittel sollen vor allem Versicherte über Zusatzbeiträge zahlen.Haushalt: Anfang Juni beschloss das Kabinett ein Sparpaket, das den Bund bis 2014 um 82 Milliarden Euro entlasten soll. Viele Details sind offen. Mit dem Etatentwurf 2011 und dem Finanzplan bis 2014 wird - zumindest auf dem Papier - die neue Schuldenbremse erfüllt.Bankenabgabe: Banken sollen eine Zwangsabgabe in einen Krisenfonds zahlen - jährlich bis zu 1,2 Milliarden Euro. Bankensanierung: Marode Großbanken sollen notfalls zerschlagen werden können. Insolvenzen sollen vermieden werden und der Staat nicht mehr erpressbar sein, um wichtige Institute mit Steuergeld zu retten.Anlegerschutz: Auf dem "grauen Kapitalmarkt" sollen Anleger besser geschützt und feindliche Übernahmen von Firmen erschwert werden.ERLEDIGT:Steuern: Im Januar trat das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" in Kraft - mit steuerlichen Entlastungen von 8,5 Milliarden Euro pro Jahr. Vor allem Familien werden entlastet. Profitiert haben auch Firmen, Erben und Hotels.Rettungspakete: Zunächst wurde eine Bundesbürgschaft für deutsche Notkredite für Griechenland von bis zu 22,4 Milliarden Euro beschlossen. Später folgte der deutsche Garantierahmen für Notkredite an klamme Euro-Länder von bis zu 148 Milliarden Euro.Arbeitsmarkt: Der Erhalt der Jobcenter zur Betreuung von mehr als 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfängern und ihren Familien ist gesichert.Bildung: Mit einem neuen Stipendienprogramm sollen künftig bis zu 160 000 der leistungsstärksten Studenten mit monatlich 300 Euro unterstützt werden - unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern.Finanzmarkt: Für Manager in Banken und Versicherungen gelten schärfere Bonusregeln. Bestimmte Börsenwetten ("ungedeckte Leerverkäufe") sind verboten. Banken müssen beim Weiterverkauf von Kreditforderungen schärfere Regeln beachten. Auch gelten für Banken neue Eigenkapital- und Großkreditvorschriften.Wehrdienst: Der Wehr- und Zivildienst wird von neun auf sechs Monate verkürzt. Die ersten 13 370 Wehrpflichtigen sind seit Juli betroffen.Gesundheit: Zur Eindämmung der Arzneimittel-Ausgaben gilt ein höherer Zwangsrabatt. Zudem werden Arznei-Preise bis Ende 2013 eingefroren.Vertriebenen-Gedenkstätte: Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach verzichtete auf einen Sitz im Stiftungsrat der Gedenkstätte. Dafür fiel das Vetorecht des Kabinetts. dpa "Sie können ganz fest davon ausgehen, dass Sie mich nach den Ferien wiedersehen."Angela Merkel

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