Frankreichs Juden in Angst

Paris · Wie kaum ein anderes Land bekommt Frankreich die neue Eskalation der Gewalt in Nahost zu spüren. Radikale Gegner Israels greifen im Großraum Paris am Rande von pro-palästinensischen Demonstrationen Synagogen an.

Es sind Szenen, die auch in Frankreich schreckliche Erinnerungen wecken. Hasserfüllte Mobs greifen Synagogen an und verwüsten jüdische Geschäfte. Flaggen mit Davidsternen gehen in Flammen auf. Und durch die Straßen hallen anti-israelische Parolen. Was nach Schilderungen aus der NS-Zeit klingt, ist seit einigen Tagen im Großraum Paris traurige Aktualität.

Eine kleine Minderheit von muslimischen und linken Israel-Gegnern nimmt die neue Eskalation der Gewalt im Nahen Osten zum Anlass, am Rande pro-palästinensischer Demonstrationen jüdische Einrichtungen zu attackieren. Nicht auszudenken, was ohne den Einsatz Hunderter Polizisten passiert wäre, kommentieren Augenzeugen die jüngsten Ausschreitungen vom Wochenende. "Das hätte ein Blutbad geben können." Unter französischen Juden geht angesichts der Ereignisse die Angst um. Nach Randalen vor einer Pariser Synagoge am 13. Juli hatte Großrabbiner Haïm Korsia berichtet, wie Gläubige dort lange Zeit ausharren mussten, bis wieder Ruhe einkehrte. Ein 90 Jahre alter Mann habe unter Tränen erzählt, wie sehr ihn dies an die Pogromnacht am 9. November 1938 erinnert hätte, erzählte er. Demonstranten sollen zudem Sätze wie "Tod den Juden " oder "Juden raus" gerufen haben.

"Die antisemitische Gewalt nimmt von Tag zu Tag zu und wird extremer", warnt der jüdische Dachverband Crif. Wie noch nie zuvor habe die jüdische Gemeinschaft das Gefühl, isoliert zu sein.

Vertreter der pro-palästinensischen Seite werfen der jüdischen Gemeinschaft hingegen vor, Ausschreitungen bei den Demonstrationen gegen die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen bewusst zu provozieren. In der Kritik steht vor allem die radikale Selbstverteidigungsorganisation LDJ. Deren Mitglieder suchten nicht weniger den Streit als ihre Gegner, heißt es unter Berufung auf mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffnete LDJ-Gruppen.

Für die Regierung unter Präsident François Hollande ist der Umgang mit der anti-israelischen beziehungsweise pro-palästinensischen Protestbewegung ein Drahtseilakt. Die jüdische Gemeinde in Frankreich ist so stark wie in keinem anderen europäischen Land. Die muslimische gilt allerdings mit sechs Millionen Mitgliedern als etwa zehnmal so groß. Seit Hollande vor ein paar Wochen offen Verständnis für den israelischen Militäreinsatz gegen die Hamas zeigte, wird er bei Demonstrationen als "Komplize von Mördern" tituliert.

Die französische Regierung setzt vorerst auf eine Mischung aus Härte und Deeskalation. Premierminister Manuel Valls bezeichnete die Angriffe als "nicht hinnehmbar", "antisemitisch" und "rassistisch". Die Verantwortlichen sollten unnachgiebig verfolgt werden. In der Tageszeitung "Libération" warnt der französische Soziologe und Islam-Experte Gilles Kepel bereits vor einer Destabilisierung der europäischen Gesellschaften durch den Nahost-Konflikt. Das schlimmste Szenario wäre es seiner Meinung nach, wenn aus Syrien und dem Irak zurückkehrende Dschihadisten verstärkt Juden angreifen würden - unter dem Vorwand, sich für die Opfer im Gazastreifen zu rächen. Dabei erinnerte er an den Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel, bei dem ein selbst ernannter Gotteskrieger im Mai vier Menschen erschoss. Es gilt als sicher, dass der Franko-Algerier zuvor als Dschihad-Kämpfer in Syrien war.

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