Frankreichs Atomgegner wittern Morgenluft

Paris. Frankreich passiert das bisher Undenkbare: Öffentlich wird hart um Sinn oder Unsinn der Atomkraft gestritten. Eine Art Initialzündung erfahren die Anti-Atom-Proteste ausgerechnet beim letzten für Gorleben bestimmten Castor-Transport mit stark radioaktivem Müll aus La Hague

Paris. Frankreich passiert das bisher Undenkbare: Öffentlich wird hart um Sinn oder Unsinn der Atomkraft gestritten. Eine Art Initialzündung erfahren die Anti-Atom-Proteste ausgerechnet beim letzten für Gorleben bestimmten Castor-Transport mit stark radioaktivem Müll aus La Hague. In einer Gemengelage aus Wahlkampf, Verunsicherung nach der Atomkatastrophe von Fukushima und Sorge macht sich der Zug mit seinen elf Castor-Spezialwaggons auf den Weg ins Wendland.Gab es früher bei ähnlichen Anlässen gerade mal einige Dutzend Aktivisten, so versammelten sich diesmal gleich zum Auftakt am Startort bei Valognes Hunderte französische Atomkraftgegner. Schon vor dem Start des Transports in Richtung Gorleben gerieten mehrere hundert Demonstranten und Polizisten aneinander. Der Zug mit den elf Castor-Behältern verließ schließlich kurz nach 16 Uhr den Verladebahnhof des Städtchens Valognes in Nordfrankreich - eineinhalb Stunden später als geplant.

Seit dem frühen Morgen hatten sich teilweise vermummte und mit Gasmasken ausgerüstete Demonstranten mit der Einsatzpolizei regelrechte Gefechte geliefert. Atomkraftgegner versuchten immer wieder, an die Gleise zu kommen, um den Zug mit dem Müll aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague zu blockieren. Trotz zahlreicher Absperrungen gelang es einigen Aktivisten, Steine und Betonblöcke auf die Gleise zu werfen.

Verwundert reiben sich selbst deutsche Umweltschützer die Augen. Über Parteigrenzen hinweg gab es bisher - mit Ausnahme der Grünen - einen fast schon monolithischen Atom-Konsens in Frankreich, das mit 58 Reaktoren knapp 80 Prozent seines Stroms aus der Atomkraft bezieht. Sogar viele Umweltschützer waren für Kernkraft - um das Klima zu retten. Das ist nun anders. Von einem "politischen Fenster für den Einstieg in den Ausstieg", spricht der Atomexperte von Greenpeace, Andree Böhling: "Niemand hätte vor einigen Jahren damit gerechnet, dass das mal Wahlkampfthema in Frankreich werden könnte - wir erleben hier einen Einstieg in eine komplett neue Debatte", meint er mit Blick auf die ungewöhnlich scharfen Sicherheitsmaßnahmen.

Sarkozy setzt auf Atomkraft

Der jüngste Transport soll in La Hague gelagerten, hochradioaktiven Müll aus deutschen Atomkraftwerken nach Gorleben bringen. Welche Strecke der Zug nimmt, ist noch nicht endgültig klar. Als wahrscheinlichste Route gilt aber die über das Saarland (siehe Text rechts). Anders als bei früheren Transporten erregt der Zug diesmal einiges Medieninteresse bei Deutschlands Nachbarn. Was ihn aus französischer Sicht so besonders macht, ist der Zeitpunkt. Denn im Frühjahr wird der neue Präsident gewählt, und der auf eine Wiederwahl zusteuernde Amtsinhaber Nicolas Sarkozy muss aus einem Popularitätstief kommen. Nach Medienberichten will er das Thema Atomkraft aufgreifen, nachdem der beschlossene Schulterschluss der oppositionellen Sozialisten mit den Grünen für einen Teilausstieg die Umweltpartei spaltet. Denn der grünen Präsidentschaftskandidatin Eva Joly gehen die Zusagen der Sozialisten für einen Atomausstieg nicht weit genug.

Sarkozy dagegen beschwört inmitten der Euro-Krise für den Fall des Atomausstiegs das Gespenst Hunderttausender zusätzlicher Arbeitsloser. Als der Atomkonzern Areva nach Medienberichten diese Woche über einen Stellenabbau in Frankreich nachdachte, wurde dessen Chef zum vertraulichen Gespräch mit der Regierung gebeten. Danach war von Entlassungen keine Rede mehr.

Hintergrund

Der im Zwischenlager Gorleben erwartete Atommüll ist von der Deponierung in einem Endlager weit entfernt. In der Nähe des Zwischenlagers wird der Salzstock Gorleben zwar seit Jahrzehnten auf Eignung als Endlager untersucht. Doch eine Aussage darüber, ob er geeignet ist, erwartet das Bundesamt für Strahlenschutz frühestens in 15 Jahren. Der Bund hat auch die Prüfung anderer Endlagerstandorte angekündigt.

Hochradioaktiver Atommüll muss vor der Endlagerung abklingen. Die jetzt transportierten Castor-Behälter sind im Innern 400 Grad heiß und müssen 30 bis 40 Jahre lang stehen, bevor sie in ein Endlager können. Das in Deutschland geplante Endlager soll nicht vor 2040 in Betrieb gehen. Weltweit gibt es noch kein Endlager für hochradioaktiven Abfall. dapd

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