Nationale Debatte Präsident Macron wirbt für Lösungen statt Wut

Paris · Frankreichs Staatschef ruft zur Teilnahme an einem Bürgerdialog auf, der die Gelbwesten besänftigen soll.

 Emmanuel Macron startet in der Gelbwesten-Krise eine nationale Befragung, bei der Bürger ihrem Ärger Luft machen können.

Emmanuel Macron startet in der Gelbwesten-Krise eine nationale Befragung, bei der Bürger ihrem Ärger Luft machen können.

Foto: dpa/Yves Herman

Zwei Tage lang hatte sich Emmanuel Macron in seinem Büro im Elysée-Palast eingeschlossen, um den Franzosen einen Brief zu schreiben. Heraus kamen sechs Seiten, die der Präsident handschriftlich mit den Worten „im Vertrauen“ beendete. Vertrauen muss Macron vor allem darauf, dass seine Landsleute an der nationalen Debatte teilnehmen, für die sein am gestrigen Montag veröffentlichtes Schreiben den Rahmen absteckt. Die bisher unbekannte Demokratieübung soll die Proteste der „Gelbwesten“-Bewegung eindämmen. Deren Proteste gegen soziale Ungleichheit, die mehrfach in Gewaltexzessen endeten, halten das Land seit zwei Monaten in Atem und blockieren die von der Regierung eingeleiteten Reformen.

Der 41-jährige Macron ist nicht der erste Präsident der Franzosen, der sich in einem Brief an seine Bürger richtet. Doch im Gegensatz zu François Mitterrand (Präsidentschaft von 1981 bis 1995) und Nicolas Sarkozy (2007 bis 2012), die auf diesem Weg eine zweite Amtszeit ankündigten, steht für Macron der Erfolg seiner Präsidentschaft auf dem Spiel. Denn die Bewegung der „Gilets jaunes“, die Umfragen zufolge von rund 55 Prozent der Franzosen unterstützt werden, offenbarte einen weit verbreiteten Hass auf den einstigen Investmentbanker. Der Bürgerdialog soll nun den als realitätsfremd empfundenen Staatschef seinen Landsleuten wieder näher bringen und „die Wut in Lösungen verwandeln“, wie der Präsident schreibt. Er eröffnet die auf zwei Monate angesetzte Debatte an diesem Dienstag selbst in der Normandie und sagte seine Teilnahme am Weltwirtschaftsforum in Davos ab, um bei weiteren Diskussionen dabei zu sein.

Die Idee für den „débat national“ hatte Macron schon bei seiner Fernsehansprache im Dezember vorgetragen, als er ein zehn Milliarden Euro teures Sozialpaket als Reaktion auf die Massenproteste verkündete. „Ich weiß natürlich, dass einige von uns heute unzufrieden oder in Wut sind“, beginnt der Präsident sein Schreiben. „Diese Ungeduld teile ich.“ Kein Verständnis hat der 41-Jährige allerdings für die Gewalt, die die „Gelbwesten“ gegen Polizisten, Abgeordnete oder Journalisten ausübten. „Wenn jeder jeden angreift, löst sich die Gesellschaft auf.“

Um die nationale Diskussion zu strukturieren, sind thematisch vier Bereiche vorgegeben: Steuern und öffentliche Ausgaben, Organisation des Staates, Energiewende, Demokratie und Bürgertum. „Für mich gibt es keine verbotenen Fragen“, versicherte der Staatschef, der insgesamt 35 Fragen formulierte. Die Franzosen sollen sich über die Einführung des Verhältniswahlrechts ebenso äußern wie über Referenden, die die Gelbwesten vehement fordern. Auch eine Einwanderungsquote brachte der Präsident ins Gespräch. Andere Themen wie die Ehe für alle, Abtreibung und die Todesstrafe hatte die Regierung im Vorfeld bereits ausgeschlossen. Auch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eines der Kernanliegen der „Gilets jaunes“, steht nicht auf der Tagesordnung. Die Debatte selbst sei „keine Wahl und kein Referendum“ ermahnte Macron all jene, die ihn selbst am liebsten sogleich per Volksabstimmung absetzen würden.

„Der arrogante Jupiter versucht mit diesem Text, sich auf die Höhe eines Kreisverkehrs zu begeben“, kommentierte die linksliberale, regierungskritische Zeitung „Libération“ die Initiative. Die Gelbwesten, die seit Mitte November zahlreiche Verkehrskreisel im ganzen Land besetzen, misstrauen dem Bürgerdialog allerdings ebenso wie die Opposition. „Die nationale Debatte ist eine Totgeburt, denn die Regierung hat die Themen ausgesucht“, kritisierte der Politiker der Linkspartei La France Insoumise, Manuel Bompard.

Auch den Ablauf der Debatte steuert die Regierung, denn mit Sebastien Lecornu und Emmanuelle Wagon sind zwei Minister dafür verantwortlich. Die beiden sind eine Notlösung, nachdem die Leiterin der staatlichen Kommission für die nationale Debatte, Chantal Jouanno, vergangene Woche nach Kritik an ihrem üppigen Monatsgehalt als Organisatorin zurückgetreten war.

Umfragen zufolge will sich gut ein Drittel der Franzosen an der Debatte beteiligen. Nur 29 Prozent glauben allerdings, dass „nützliche Maßnahmen“ dabei herauskommen.

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