Florida liebäugelt mit dem WechselFührende US-Neokonservative setzen sich von Irak-Krieg ab

Miami. Carlos Santamarina (21) weiß eine Geschichte von den "harten Zeiten" zu erzählen. Carlos berichtet von dem Fischereizubehör-Laden, in dem er bis vor Kurzem jobbte und der nun vor der Pleite steht. Jetzt arbeitet der junge Mann im Cafe seiner Tante am nördlichen Ende der "Calle Ocho". Wen er am 4. November wählt, hat Carlos noch nicht entschieden

Miami. Carlos Santamarina (21) weiß eine Geschichte von den "harten Zeiten" zu erzählen. Carlos berichtet von dem Fischereizubehör-Laden, in dem er bis vor Kurzem jobbte und der nun vor der Pleite steht. Jetzt arbeitet der junge Mann im Cafe seiner Tante am nördlichen Ende der "Calle Ocho". Wen er am 4. November wählt, hat Carlos noch nicht entschieden. Nur so viel weiß er: "Etwas muss sich verändern."Fette Immobilien-Blase Tante Neli Santamarina, die ihr Geld im Hauptberuf als Maklerin für Geschäftsimmobilien verdient, kann ihrerseits Geschichten von Gier, Unvernunft und Betrug beisteuern. "Nirgendwo war die Immobilien-Blase fetter." Jetzt seien nicht nur die Spekulanten in Nöten, sondern auch viele kleine Leute, die zu teuer kauften. "Wir haben so viel verloren, dass es im Wahlkampf kein anderes Thema gibt." Auch nicht in Little Havanna, wo die beiden republikanischen Abgeordneten, Lincoln und Mario Diaz-Balart erstmals um ihre Widerwahl kämpfen müssen. Die Krise eröffne die Chance, auch gegenüber Kuba zu einer rationaleren Politik zu kommen, findet Neli, die als Achtjährige nach Miami kam. Ihre Hoffnungen ruhen auf Barack Obama. "Er ist der Einzige, der wirkliche Veränderungen bringen kann." Lillie Williams teilt diese Sicht. Allerdings aus anderen Gründen. "Dass ein Schwarzer ins Weiße Haus einzieht, wäre das Größte, was in meinem Leben passieren könnte", meint die Rentnerin, die sich im armen Schwarzenviertel von Liberty City mit Mitgliedern des demokratischen Ortsvereins trifft. "Oh ja, lobt Gott, Dinge ändern sich", stimmt Lottie Hines zu, die als Kind am Strand von Miami Beach noch Schilder mit der Aufschrift "Hunde und Neger nicht willkommen" sah. Seit den 60er Jahren könne sie sich an keine Wahl erinnern, bei denen die Afro-Amerikaner so motiviert waren. "Sogar die Trunkenbolde an der Straßenecke wollen wählen", berichtet die resolute Lady, die mithalf Tausende Neuwähler zu registrieren. Mit 94000 zusätzlichen Einträgen ins Wahlregister haben die Demokraten im Bezirk Miami-Dade mehr als vier Mal so viele Neuzugänge wie die republikanische Konkurenz. Am Wahltag planen die Obama-Anhänger mit Lautsprecherwagen durch das von wachsender Arbeitslosigkeit hart getroffene Schwarzenviertel zu fahren. Diese Mobilisierung könnte nach Ansicht von Experten wie Richard Scher den Unterschied ausmachen. "Am Wahltag gewinnt, wer in Florida besser organisiert ist," fügt der Politologe an der University of Florida hinzu. Vor allem wenn es Obama gelinge, die 600000 registrierten Afro-Amerikaner zu aktivieren, die 2004 zu Hause blieben. John McCain seinerseits setzt darauf, bei den traditionell den Demokraten zugeneigten Juden Floridas Gewichte verschieben zu können. Der unabhängige Senator Joe Lieberman ist mit von der Partie und Cheryl Jacobs - die erste und einzige Rabbinerin in dem an Miami angrenzenden "Broward County". Jacobs beriet bis zum Sommer noch Hillary Clinton in Religionsfragen. Nun macht sie Wahlkampf für McCain. "Ich bin für Veränderung," sagt die für die Schulen der "Kol Ami Emanuel"-Synagoge zuständige Geistliche zu ihrem Sinneswandel. Obama biete "nichts als Worte". Zudem gefalle ihr nicht, was sie zur "Sicherheit Israels" höre und, dass er "mit Leuten wie Hamas" verhandeln wolle. "Meine Welt hat sich am 11. September verändert, als ich von meiner Wohnung in New York das erste Flugzeug über den Hudson-River Richtung World Trade Center fliegen sah."Keine Bange wegen PalinDie Entscheidung für Sarah Palin als Kandidatin für das Amt des Vize-Präsidenten beunruhigt Rabbi Jacobs nicht - obwohl Palin keinerlei außenpolitische Erfahrung hat. Dennoch findet sie die Wahl Palins "schon ein wenig merkwürdig". Wie viele Gemeindemitglieder, die wegen der Wirtschaftskrise und Palin demokratisch wählen wollen. Vielleicht tragen dazu auch die liberalen Enkelkinder bei, die im Rahmen der Aktion "The Great Schlepp", die Komödiantin Sarah Silverman intitiiert hat, ihre Großeltern für Obama zu bearbeiten. Politologe Scher meint, die letzten Umfragen in Florida zeigten, McCain habe mit der Wahl Palins seine Chancen in der jüdischen Gemeinde verspielt. Richtige Fans hat der "Pitbull mit Lippenstift" nur an der republikanischen Basis: christlichen Fundis, Soldaten und den kubanischen Hardlinern von Little Havana. Zum Beispiel Ninoska Perez. "Die Leute lieben sie", lobt die feurige Talkerin von Radio Mambi, Palin. Kein Wunder. Schalten ihre Zuhörer doch ein, um ihre täglichen Tiraden gegen Castro und Obama zu hören. "Der kommt hier nicht an", versichert Perez. Carlos Saldrigas hält das Potential Obamas ebenfalls für beschränkt. "Es gibt eine schwierige Geschichte zwischen Kubanern und Schwarzen", erklärt der Reform-Politiker. "Und, ehrlich gesagt, macht ihm Rassismus zu schaffen." Hamburg. Führende Vertreter der US-Neokonservativen haben massive Fehler im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg eingeräumt. "Wir kannten den Feind nicht. Wir hatten keine Ahnung von dem Binnenkrieg, den das Regime anzetteln würde", sagte der frühere Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz der Zeitung "Die Zeit". Richard Perle, ein anderer führender Vertreter der Neokonservativen, sagte: "Ich hätte nie geglaubt, dass wir das so böse verpatzen würden." Als Berater von US-Präsident Bush hatten sie den Angriff auf den Irak 2003 maßgeblich unterstützt. Perle war früher Direktor des Beratungskomitees des Ausschusses für Verteidigungspolitik. Wolfowitz wies eine Verantwortung für den Krieg von sich. Er sei "nicht der Drahtzieher" gewesen. "Die Entscheidungen hat Rummy (Verteidigungsminister Donald Rumsfeld) getroffen. Wir hatten keinen wirklichen Einfluss, obwohl ich mir den sehr gewünscht hätte. Ratschläge wurden gern ignoriert." Auch der hohe Pentagon-Beamte Douglas Feith sieht den Krieg kritisch. "Wir haben einen schrecklichen Preis bezahlt, aber nicht wegen des Krieges als solchen, sondern weil er so schlecht gelaufen ist." dpa "Wir haben so viel verloren, dass es im Wahlkampf kein anderes Thema gibt." Maklerin Neli Santamarina zur FinanzkriseMeinung

Zynisches "Sorry" der Kriegstreiber

Von SZ-RedakteurUlrich Brenner Sorry, Jungs, war doch gut gemeint!" So ähnlich, so zynisch hören sich heute Einlassungen jener Kriegstreiber an, die vor fünf Jahren mit arrogantem Lächeln und dreisten Lügen den völkerrechtswidrigen Überfall auf den Irak angezettelt haben. Alles, was folgte, wurde von der überwältigenden Mehrheit der Fachleute vorhergesagt. Die Hybris weniger hat tausende Amerikaner und zehntausende Iraker das Leben gekostet, die Welt unsicherer gemacht und die USA an den Rand des moralischen Bankrotts geführt. Mit einem "Sorry" ist es nicht getan. Eigentlich gehören Kriegstreiber vor Gericht.

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