Firmen in Europa verdienen an der Folter in aller Welt mit

Brüssel. Elektroschocker, Reizgas und Fußfesseln, die auf Knopfdruck Stromstöße abgeben - Europas Wirtschaft verdient offenbar weiter am Handel mit Folter-Instrumenten mit. Ein neuer Bericht der Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International belegt: Das vor fünf Jahren beschlossene Exportverbot ist löchrig

Brüssel. Elektroschocker, Reizgas und Fußfesseln, die auf Knopfdruck Stromstöße abgeben - Europas Wirtschaft verdient offenbar weiter am Handel mit Folter-Instrumenten mit. Ein neuer Bericht der Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International belegt: Das vor fünf Jahren beschlossene Exportverbot ist löchrig. Gestern befasste sich der Ausschuss für Menschenrechte des Europäischen Parlaments mit dem Thema und musste sich schockierende Details anhören: Zahlreiche EU-Mitgliedstaaten exportieren immer noch Produkte, die zu Folterzwecken missbraucht werden, in Länder, die für eklatante Verstöße gegen die Rechte von Gefangenen bekannt sind. So belieferte Tschechien den Senegal, Venezuela und Pakistan mit Reizgas und Elektroschockern. Deutschland verschickte nachweislich Pfeffer-Spray und besonders harte Elektroschockpistolen (sie verursachen schwere Brandwunden und sekundenlange Schocks) nach Indien und Kamerun, wo sie bei der Folter eingesetzt wurden. Aus Indien ist belegt, dass dort Häftlingen bei Verhören ätzende Substanzen in den After gesprüht werden. Kamerun setzt Elektroschocker bei mindestens 30 Prozent aller Folterungen von Inhaftierten ein. Die geltende Richtlinie der EU verbietet zwar nicht die Geschäfte mit solchem Material, das auch Polizeibehörden nutzen. Sie untersagt aber ausdrücklich die Ausfuhr in Länder, die für ihre Folterpraxis bekannt sind. Indien und Kamerun gehören dazu. Vor fünf Jahren erließ die Kommission nämlich ein Handelsverbot für alle Güter, die "außer der Folter und der Vollstreckung der Todesstrafe keinen anderen praktischen Verwendungszweck haben", wie es in der Richtlinie 1236/2005 heißt. Außerdem sollten alle Waren, die zu legitimen Zwecken, aber eben auch zu Folter eingesetzt werden können, strikt kontrolliert werden. Gemeint waren beispielsweise Fußschellen und "Viehtreiber", die besonders starke Stromstöße abgeben. Aber auch Daumen-Fesseln, die bei Gefangenen immense Schmerzen verursachen und besonders schnell zu Knochenbrüchen führen. Das Verbot werde "gezielt unterlaufen", hieß es gestern bei der Sitzung des Parlamentsausschusses. "Hier liegt ein klarer Verstoß gegen das EU-Exportverbot vor", sagte die Grünen-Europa-Abgeordnete Barbara Lochbihler, selbst lange Jahre Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion. "Diese Schlupflöcher müssen sofort geschlossen werden, damit der weltweite Kampf gegen Folter kein Lippenbekenntnis bleibt." Niemand zweifelt die Bedeutung von Handschellen oder Reizgas als Instrumente hiesiger Sicherheitsbehörden an. Die Produzenten aber bedienen ganz offensichtlich auch eine andere Käuferschicht. Weil Fußfesseln laut EU-Richtlinie verboten sind, bietet ein spanischer Hersteller "Handschellen in Übergröße" an, die durch Nachrüsten mit einer langen Kette zur Fußfessel wird. Andere Produkte waren vor fünf Jahren noch gar nicht verfügbar wie so genannte "Sting Sticks", Stachelprügel aus Metall, die in den Zielländern gegen Demonstranten eingesetzt wurden. Man schlug dabei gezielt auf die Augenpartie. "Europa muss aufpassen, damit seine ethisch so wichtigen Bekenntnisse auch in die Tat umgesetzt werden", hieß es gestern in Brüssel. Es gehe auch gar nicht um die Frage, ob EU-Händler am weltweiten Markt mit Instrumenten, die zur Folter genutzt würden, einen großen oder kleinen Anteil hätten. "Wir dürfen da überhaupt nicht mitmachen", forderten Abgeordnete. Die EU-Kommission will nun die geltenden Regelungen anpassen. Meinung

Saubere EU-Weste hat Flecken

Von SZ-Korrespondent Detlef Drewes Die Klage über Menschenrechtsverstöße erscheint so selbstverständlich, dass man die darin eingeschlossene Frage leicht übersieht: Wer verkauft den Henkern und Folterknechten eigentlich die geeigneten Produkte? In Brüssel hat es die Kommission bis heute stets vermieden, Ross und Reiter zu nennen. Amnesty international nimmt kein Blatt vor den Mund: Folterinstrumente "made in EU" sind gefragt. Gezielt werden die Exportauflagen unterlaufen. Und das keineswegs nur von dubiosen Händlern, sondern mit staatlicher Ausfuhrerlaubnis. Es ist ein Skandal. Europas saubere Weste hat blutige Flecken bekommen. Ausgerechnet die, die sich stets zu den Menschenrechten bekannten, machen sich die Hände schmutzig. Das kann und darf niemand hinnehmen. Nein, nicht nur die Kommission, alle Mitgliedstaaten sind gefordert, die Schlupflöcher zu schließen.

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