Fenster zur Urzeit des Sonnensystems

Darmstadt · Die Russen waren die ersten im All, die Amerikaner die ersten auf dem Mond – und die Europäer sind die ersten auf einem Kometen. Das Mini-Labor „Philae“ ist gestern gelandet.

Die Spannung entlädt sich um 17.03 Uhr. "Der Lander ist auf der Oberfläche", lautet der erlösende Satz aus dem Kontrollzentrum der Europäischen Weltraumagentur Esa in Darmstadt . Die Menschen jubeln, liegen sich in den Armen, ballen die Fäuste. Die Sektgläser klingen. "Aus Science-Fiction wurde heute Science-Fakten. Oder mit anderen Worten: Hollywood ist gut, aber Rosetta ist besser", heißt es in einer der Dankesreden. Der Jubel ist groß. Am Abend gibt es dennoch Aufregung: Zwei Harpunen zum Festzurren von "Philae" auf "Tschuri" wurden nicht ausgelöst, eine Düse zum Aufdrücken des Labors auf dem Kometen funktionierte nicht. Die Verbindung riss zwischendurch ab.

Die erste Landung auf einem Kometen feiern Experten als Meilenstein der Raumfahrt. Sie gewährt einen Blick in die tiefste Vergangenheit des Universums. Zehn Jahre lange dauerte die Reise im All, bis "Philae" nach Milliarden von Kilometern endlich sein Ziel auf "Tschuri" erreichte. Wissenschaftler sind gespannt, welche Geheimnisse sie dem Himmelskörper "67P/Tschurjumow-Gerassimenko" entlocken können. Bodenbeschaffenheit, Temperatur oder die Zusammensetzung des Kometenkerns - all das ist von größtem Interesse. Damit wollen die Forscher zur Lösung eines alten Rätsels beitragen: "Es ist eher die Frage: Wo kommen wir her? statt: Wo gehen wir hin?", sagt Stephan Ulamec, "Philae"-Projektleiter beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln.

Kometen sind mehrere Milliarden Jahre alt und stammen aus der Anfangszeit unseres Sonnensystems. "Alles, was wir bekommen, ist für die Wissenschaftler eine Fundgrube", sagt DLR-Sprecherin Manuela Braun. "Der Komet kommt aus besonders kalten Regionen, hat die Urmaterie wie ein Kühlschrank konserviert." Selbst wenn es nicht so viele Informationen geben sollte wie erwartet, "wäre es trotzdem toll", meint Braun. Es sei schließlich die erste Landung auf einem Kometen und damit der erste direkte Kontakt zum Untersuchungsobjekt.

Das DLR ist verantwortlich für das Labor "Philae". Das kühlschrankgroße Gerät wurde von der Sonde "Rosetta" auf seiner langen Reise huckepack zu "Tschuri" gebracht. Bei der Annäherung an den Kometen haben die Experten schon einiges herausgefunden: Der Bote aus der Vergangenheit stinkt nach faulen Eiern und Pferdestall, es ist dort dunkler als im Kohlenkeller und bitterkalt. Jetzt geht es weiter mit der Arbeit. "Wir haben die Ursubstanz des Sonnensystems unter Beobachtung", erläutert Systemingenieur Rüdiger Gerndt, der für Airbus Defence and Space mit "Philae" befasst war. "Wir können dann vielleicht auch etwas zu dem Verständnis beitragen, wie Leben auf der Erde entstanden ist", sagt Esa-Kometenexperte Gerhard Schwehm. Dass Kometen vor langer Zeit Moleküle auf die Erde brachten, könne als gesichert angenommen werden. Aber haben sie damit auch einen Beitrag dazu geleistet, dass sich Leben auf der Erde entwickelte?

"Philae" hat zehn Instrumente an Bord, um "Tschuri" zu untersuchen: etwa "Mupus", um die Temperatur des Kometen zu erforschen. Oder "Sesame", eine Art Echolot in den drei Füßen des Landers. "Wir horchen in ‚Tschuri' hinein, welche akustischen Eigenschaften der Kometenkern hat", erklärt Braun. Für das Instrument "Consert" sollen "Philae" und "Rosetta" sich "Tschuri" für eine Art Tomographie in die Mitte nehmen und ihn durchleuchten.

"Es ist unsere menschliche Neugier, dass wir auf ‚Tschuri' sind", sagt Kometenexperten Schwehm. "Wir wollen einen Blick in die Kinderstube des Sonnensystems werfen. Kometen sind dafür der einzige Zugang."

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