Interview Stefan Michaely „Jeder hat ein eigenes Schicksal, wenn er durch die Prüfung fällt“

Saarbrücken · Seit über 25 Jahren bewertet Stefan Michaely,Geschäftsführer der Tüv Saarland Automobil GmbH, die Fahrkünste von Prüflingen. Es liegt ihm am Herzen, mit seiner Arbeit den Verkehr sicherer zu machen.

 Stefan Michaely, Fahrerlaubnisprüfer und Geschäftsführer Tüv Saarland Automobil GmbH

Stefan Michaely, Fahrerlaubnisprüfer und Geschäftsführer Tüv Saarland Automobil GmbH

Foto: TÜV Saarland/Stephanie Eidens-Holl

Herr Michaely, auch im Saarland fallen immer mehr Schüler durch die Prüfung, woran liegt das?

MICHAELY Ich kann aus meiner Jugend sagen: Für mich war es mit 18 der größte Wunsch mobil zu sein. Eigenverantwortlich hinterm Lenkrad zu sitzen, und dieser Stellenwert hat sich verändert. Außerdem gibt eine sehr gute Infrastruktur. Je größer die Stadt, je besser die Infrastruktur, desto weniger ist das Ziel der Jugendlichen, mit 17 oder mit 18 selbstständig ein Fahrzeug zu führen. Und die schulische Ausbildung der Schüler ist sehr intensiv.

Was ist die Herausforderung als Prüfer?

MICHAELY Eine kleine Anekdote: Ich hatte mal eine Prüfung, der Kerl sah aus wie ein Preisboxer, Oberarme wie ich Unterschenkel habe. Wir sind im Winter gefahren, und der hat geschwitzt. Man hat gemerkt, dass er wirklich sehr konzentriert ist. Ich habe ihm gesagt, wenn ihm zu warm ist, kann er gerne das Fenster aufmachen. Bei Minusgraden hatte er 45 Minuten sein Fahrerfenster auf. Ich hab gefroren wie ein Schneider. Aber wenn ihm das geholfen hat, dann war das in Ordnung. Er hat die Prüfung bestanden. Ich mag die unterschiedlichen Herausforderungen bei jeder Prüfung. Wir müssen alle 45 Minuten individuell gucken, wie schätzen wir die Person ein, wie starten wir die Prüfung.

Sind Sie deshalb Prüfer geworden?

MICHAELY Und natürlich, weil man aktiv zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beiträgt, damit die Anzahl der Verkehrstoten verringert wird. Das ist eine Sache, die ich sehr schön finde, und deshalb habe ich mich für den Tüv entschieden.

Haben Sie einen Standardspruch für nervöse Prüflinge?

MICHAELY Wenn jemand am Anfang sein Auto abwürgt, dann sage ich immer, man muss jetzt ja 80 Kilo mehr schleppen, weil ich im Auto sitze. Ein kleiner Spruch, einfach um die Stimmung ein bisschen aufzuheitern.

Wie fühlt es sich an, einen Prüfling durchfallen zu lassen?

MICHAELY Wenn jemand nur ganz selten eine Prüfung fährt, leidet er natürlich mit. Sie brauchen also wirklich eine gewisse Routine. Jeder hat ein ganz persönliches Schicksal, wenn er durch die Prüfung fällt. Manche fahren wirklich 44 Minuten perfekt und bekommen dann von jemandem die Vorfahrt geschnibbelt. Da kann der arme Fahrschüler nichts dafür, der Fahrlehrer muss eingreifen, das Ergebnis zählt als nicht bestanden. Das ist sehr ärgerlich. Aber es gibt die typischen Kardinalfehler wie eine rote Ampel, Stoppschild oder Fußgängerüberweg, wo man einfach nix machen kann.

Und wie ist es für Sie, wenn jemand zum vierten, fünften Mal durchfällt?

MICHAELY Das kommt leider auch vor. Das hat man öfter bei Leuten, die immigriert sind. Da waren die Bedingungen für die Fahrerlaubnisprüfung im Herkunftsland ganz andere als bei uns. Typisches Beispiel: In manchen Ländern ist es so, dass die breiteste Straße Vorfahrt hat. Bei uns ist das ja nicht so. Und wenn man das bei uns nicht entsprechend beigebracht bekommt von der Fahrschule, weil die gesetzliche Vorgabe dafür nicht da ist, wie etwa bei Paragraf 31-Umschreibern, dann fallen die natürlich öfter durch. Das ist für die Person natürlich ärgerlich. Aber man tut auch keinem einen Gefallen, wenn er die Prüfung bestehen würde und wäre später in einen schweren, vermeidbaren Unfall verwickelt.

Haben Sie schon mal an einer Entscheidung gezweifelt?

MICHAELY Sie haben einen klaren Entscheidungsspielraum. Schwierig wird es dann, wenn jemand keine Kardinalfehler macht, aber viele, viele kleine, die dann auch zum Durchfallen führen. Im Laufe der Zeit, wo sie zig tausend Prüfungen machen, wird es immer den einen oder anderen Grenzfall geben. Zweifellos. Aber ich hatte zum Glück nie den Fall, dass jemand durchgefallen ist, der bestanden hätte oder, noch schlimmer, jemand bestanden hat, der theoretisch durchgefallen wäre. Deshalb ist die Routine so wichtig.

Könnten Sie sich eine Videoüberwachung der Prüfung vorstellen?

MICHAELY Sie meinen, wenn es Diskussionen gibt, dass dann ein Schiedsrichter reagieren kann?

Genau…

MICHAELY Ich hätte kein Thema damit, aber interessanterweise gibt es nie Diskussionen über das Prüfergebnis, wenn jemand über eine rote Ampel gefahren ist, sondern immer dann, wenn das Gesamtbild nicht passt. Wenn der Prüfling das Auto etliche Male abwürgt, sich verschaltet oder eine mangelhafte Verkehrsbeobachtung hat. Dann würde auch so eine Videokamera nichts nützen. Wie will ich das entscheiden: Wenn jemand drei Mal nicht in den Spiegel guckt oder fünf Mal? Da braucht man die Erfahrung als Prüfer zu entscheiden.

In Frankreich wird das Ergebnis der Prüfung nicht mehr gleich verkündet. Zu oft kam es zu Übergriffen. Ist Ihnen so etwas schon passiert?

MICHAELY Wir hatten einen Fall, da hat der Schüler nach der Prüfung den Fahrlehrer attackiert und das Auto zum Teil beschädigt. Da fragen wir uns natürlich: Wie reagiert der sonst im Straßenverkehr? Wenn ihm mal jemand die Vorfahrt nimmt, tickt er dann auch so aus? Wir informieren natürlich die Verwaltungsbehörde.

Welche Konsequenz hat das?

MICHAELY Im Extremfall kann es eine Eignungsprüfung geben. Die Verwaltungsbehörde prüft dann, wie der Proband unter Stress reagiert. Wir müssen ja sicherstellten, dass so ein Auto nicht irgendwann als Waffe missbraucht wird. Oder, das haben wir zum Teil bei Täuschungsversuchen, wenn jemand unerlaubte Hilfsmittel benutzt, dann werden die Probanden gesperrt für einen gewissen Zeitraum.

Täuschungsversuche? Wie funktioniert das?

MICHAELY Das hat eine gewisse Regelmäßigkeit mittlerweile, weil die Theoretische Prüfung nur in einer gewissen Anzahl an Sprachen angeboten wird und manche sich mit der Sprache schwertun. Dann ist es einfacher, jemanden zu bezahlen, der die Prüfung über ein Kamerasystem unterstützend begleitet. Das ist sehr professionell. Die Kameras sind kleiner als ein Knopfloch. Für eine manipulierte Prüfung zahlen sie zwischen 1500 und 2000 Euro. Die Häufigkeit ist schwierig zu sagen, wir erkennen ja nur einen Bruchteil.

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