Missbrauch von 50 Millionen Profilen Facebook und die Daten der anderen
Saarbrücken/Düsseldorf · Der Missbrauch von 50 Millionen Facebook-Profilen im US-Wahlkampf erschreckt die Welt. Doch es gibt noch einen Skandal hinter dem Skandal – und Hoffnung auf Besserung.
Die Welt steckt mitten in einem riesigen Daten-Skandal. Und eigentlich weiß niemand so genau, welche Dimension dieser Fall wirklich hat. Im Zentrum stehen der US-Konzern Facebook, die britische Datenanalyse-Firma Cambirge Analytica und gut 50 Millionen Mitglieder des sozialen Netzwerks, die ohne ihr Wissen angezapft wurden – um Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl 2016 triumphieren zu lassen. Seit zwei Tagen beschäftigt diese Geschichte Medien weltweit. Dabei sind zwei entscheidende Fragen bislang noch völlig offen: Wer ist der eigentliche Schuldige hinter dem Daten-Missbrauch? Und sind Sie manchmal auch rachsüchtig?
Gerade die Antwort auf die letzte Frage ist entscheidend für den Fall. Sie erklärt, wie die Daten 2015 gesammelt wurden. Wissen wollte das ein Persönlichkeitstest namens thisisyourdigitallife. Den schickte Psychologieprofessor Aleksandr Kogan von der Uni Cambrige 2015 durch die Netzwerke. Er wollte auch wissen, wie offen die Nutzer so sind, ob sie Projekte zu Ende bringen, ob sie sich oft Sorgen machen oder Kunst mögen. Lustig fanden 270 000 Menschen den Test – und machten munter mit. Da sie im Schnitt 190 Freunde hatten, lieferten sie Kogan auch deren Daten mit.
Das alles passierte offenbar im Einklang mit den Facebook-Richtlinien. Was automatisch zur ersten und wirklich zentralen Frage in diesem Datenkraken-Skandal führt: Wer ist Schuld? Die Nutzer? Sie hatten zwar der App die Datenerhebung erlaubt. Aber nicht, dass Kogan die Daten nicht für sich behalten wird, sondern mutmaßlich an Cambrige Analytica weitergeben hat. Das Unternehmen erstellte dann aus dem Wust an Informationen messerscharfe Profile von Millionen US-Wählern. Diese wurden später gezielt mit Werbebotschaften angesprochen.
Im Skandal um den Datenmissbrauch für den US-Wahlkampf hat Facebook-Chef Mark Zuckerberg am Mittwoch „Fehler“ eingeräumt. Facebook müsse seinen Dienst verbessern, erklärte er in seiner ersten Stellungnahme. Er sei „verantwortlich“ für das, was in dem Sozialnetzwerk geschehe. Zugleich enthielt der lange Beitrag des Facebook-Chefs keine ausdrückliche Entschuldigung. Er verwies darauf, dass die Analyse-Firma Cambridge Analytica, die unter anderem für Trumps Wahlkampfteam arbeitete, unrechtmäßig an die Daten gekommen sei. Der britische Professor hatte besagte Facebook-App auf die Plattform gebracht und die Daten heimlich an Cambridge Analytica gegeben.
Viele Nutzer sehen in den sozialen Netzwerken eine technische Errungenschaft, um Menschen aus aller Welt miteinander zu verbinden. Dem ist auch so. Nur sind Facebook & Co. längst mehr als soziale Netzwerke. Der Verkauf von Daten ist ein Hauptgeschäftszweig. In der Regel sollen diese anonymisiert werden. Ob das immer so ist, wissen am Ende nur die Unternehmen. Doch auch weitgehend anonyme Daten lassen Rückschlüsse auf die Nutzer zu. Freunde, Kommentare und Seiten, die Nutzer mit „Gefällt mir“ markieren, sagen viel über sie – über Gewohnheiten, Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Nöte. Daraus können Wahlstrategen auf die politische Gesinnung schließen.
Vor Trump setzte bereits der republikanische Kandidat Ted Cruz auf die Dienste von Cambridge Analytica. Und die „Süddeutsche Zeitung“ ermittelte in einem Datenprojekt vor der Bundestagswahl die Nähe von CSU und AfD bei Facebook. So gab es auf der Plattform mehrere Überschneidungen beider Parteien. Das heißt, Seiten oder Personen, die AfD-Anhänger mit „Gefällt mir“ markiert hatten, fanden sich häufig bei CSU-Anhängern. Die Christsozialen waren im Wahlkampf thematisch so nah an der erstarkenden AfD wie keine andere größere Partei.
Facebook indes geht es weniger darum, Informationen zu erzeugen oder richtigzustellen, sondern darum, die Nutzergemeinschaft zu festigen. Nachrichten werden mit dem Ziel präsentiert, die eigene Persönlichkeit darzustellen und so die Verbindung zu Gleichgesinnten zu stärken. Facebooks Algorithmus, der Nutzern die Timeline füllt, gewichtet Beiträge oder Seiten höher, die auch Freunden der Mitglieder gefallen. Die Nutzer interagieren häufiger damit – und bleiben so länger auf der Plattform. Das Meinungsspektrum wird so eingeschränkt. Die Nutzer sehen im Prinzip nicht mehr alles. Sie verirren sich in der sogenannten Filterblase. Der Effekt verstärkt sich durch gezielte Propaganda einiger Parteien und den Einsatz von Social Bots – Programmen, die menschliche Verhaltensmuster simulieren. Wer nun die Inhalte dieser Filterblasen kennt – weil er die dazu passenden Daten gekauft hat –, kann die Wahlwerbung daran anpassen.
Viele Nutzer sind diesen Werbestrategien ahnungslos ausgeliefert. Ihnen sei nicht bewusst, dass sie maßgeschneiderte Botschaften erhielten und auf Basis welcher Informationen diese erstellt worden seien, sagt Datenschützer Peter Schaar. „Intransparenz ist das A & O jeder erfolgreichen Manipulation“, meint er. „Das Problem geht weit über den Datenschutz hinaus.“ Ziel sei vielmehr die heimliche Steuerung der Bedürfnisse der Mitglieder, ihres Handelns oder Wahlverhaltens.
Es gibt womöglich bald einen Ausweg: die europäische „E-Privacy-Verordnung“, über die verhandelt wird. Sie soll 2018 in Kraft treten. Schon im Mai wird die ebenfalls auf EU-Ebene beschlossene Datenschutz-Grundverordnung gelten. „Der Vorteil ist, dass die Datenschutz-Grundverordnung europaweit gilt und sich auch nichteuropäische Unternehmen daran halten müssen“, sagt Lina Ehrig vom Bundesverband der Verbraucherschutzzentralen. Facebook, Google, Amazon und Co. könnten dann nicht mehr einfach weitermachen wie bisher. „Wir müssen diese Schattenseiten ausleuchten, was ja nicht bedeutet, dass wir die Digitalisierung stoppen oder bremsen wollen“, findet auch Schaar. „Aber wir müssen sie in gesellschaftlich akzeptable Bahnen leiten, diesen Willen erwarte ich von Politikern.“