EZB wirft die Notenpresse an

Mario Draghi hat gelernt. Als der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) im März eine Billion Euro an 800 Banken in der Euro-Zone verteilte, musste der Italiener erleben, wie diese geldpolitische Frischzellenkur versandete. Was Draghi gestern nach langen Spekulationen und fulminanten Ankündigungen präsentierte, ist die Konsequenz daraus

Mario Draghi hat gelernt. Als der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) im März eine Billion Euro an 800 Banken in der Euro-Zone verteilte, musste der Italiener erleben, wie diese geldpolitische Frischzellenkur versandete. Was Draghi gestern nach langen Spekulationen und fulminanten Ankündigungen präsentierte, ist die Konsequenz daraus. "Die hohen Zinsen in den Krisenstaaten verhindern, dass die Impulse der Notenbank in allen Euro-Ländern gleichermaßen ankommen", sagte er und startete dann das vielleicht umstrittenste Programm seiner Amtszeit.

Ohne Grenze nach oben wollen die Frankfurter Banker nun Staatsanleihen maroder Staaten aufkaufen und in den eigenen Tresor legen - vorausgesetzt auch der ESM-Krisenfonds engagiert sich am Bondsmarkt. Was Draghi nicht sagte: Sollte der Fonds keine Banklizenz bekommen (wonach es angesichts des wachsenden Widerstandes aussieht), springt eben die EZB ein und tut - ohne demokratische Kontrolle -, was die Staats- und Regierungschefs dem ESM versagen: Papiere aufkaufen und weglegen. Denn ein späterer Rückkauf ist nicht vorgesehen. Kritiker wie der Bonner Wirtschaftsprofessor Manfred Neumann nennen das "sehr bedenklich", andere sprechen offen von Geldvernichtung. Denn die EZB muss das notwendige Kapital zunächst drucken, um es dann ausgeben zu können. Die Gefahr einer Inflation will Draghi dadurch bannen, dass er das zusätzliche Geld, das die Notenbank in die Finanzmärkte pumpt, an anderer Stelle wieder einkassiert. "Wir werden dafür sorgen, dass die Geldmenge nicht wächst", meinte er gestern. Dass die EZB dennoch gegen die europäischen Verträge verstoßen könnte, sieht Draghi nicht. Schließlich wolle man lediglich ein- und dreijährige Staatsanleihen erwerben.

Rom und Madrid haben trotz dieser EZB-Entscheidung, die ihnen zugutekommen soll, wenig Grund zu Euphorie. Wer seine im Wert gefallenen Anleihen nämlich gegen frisches Geld aus Frankfurt eintauschen will, muss zuvor einen bitteren Weg gehen. Denn die EZB legt das Programm ausschließlich für solche Euro-Mitgliedstaaten auf, die sich zuvor mit einem offiziellen Hilfsantrag an einen der beiden Rettungsschirme EFSF oder ESM gewandt haben. Das ist genau jener Schritt, den Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy und auch Italiens Premier Mario Monti bisher vermeiden wollten. Denn ein solcher Hilfsantrag bringt ungeliebte Besucher: Die berüchtigte Troika übernimmt quasi die Regierungsgeschäfte und schreibt politische, ökonomische und soziale Reformen vor - wie in Griechenland. Draghi selbst sieht in dieser Bedingung für EZB-Finanzmittel eine "notwendige Voraussetzung". Gleichzeitig wollte er wohl auch den letzten Einwand seines erbitterten Kritikers, Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, brechen. Es gelang ihm offenbar nicht. "Der Beschluss, so Draghi, sei "nicht einstimmig" gefasst worden. "Wir werden nicht sagen, wer dagegen war. Sie können darüber spekulieren."

Der große Verlierer bei der Aktion sind wohl die deutschen Steuerzahler. "Wenn es nicht gelingt, die EZB wieder einzufangen, werden die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland draufzahlen", erklärte Wirtschaftsexperte Manfred Neumann in einer ersten Reaktion. Er könnte Recht haben, denn die Bundesrepublik, die mit rund 27 Prozent den größten Anteil an den Einlagen der EZB hält, hängt mit drin - und würde von einer eventuellen Inflation wohl besonders empfindlich getroffen. Dennoch zeigte sich Draghi erkennbar bemüht, für die umstrittene Entscheidung möglichst viel Zustimmung zu bekommen. Anders als bei anderen vergleichbaren Aufkäufen von Staatsanleihen überschuldeter Staaten will die EZB dieses Mal die Öffentlichkeit informieren. Jede Woche wird es eine Aufstellung darüber geben, wie viel Geld für angekaufte Papiere ausgegeben wurde, einmal im Monat soll auch eine Liste der begünstigten Staaten verfügbar gemacht werden. Immerhin etwas Transparenz, für die die EZB bisher jedenfalls nicht bekannt war. "Wir werden dafür sorgen, dass die Geldmenge nicht wächst."

Mario Draghi,

Präsident

der Europäischen Zentralbank

Auf einen Blick

Staatsanleihen oder Schuldverschreibungen sind eine der wichtigsten Finanzierungsquellen von Staaten. Im Gegensatz zu Aktien sind diese Wertpapiere mit einem festen Zins ausgestattet und werden zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückgezahlt. Sie werden in verschiedenen Laufzeiten von zumeist zwei bis 30 Jahren ausgegeben. Lange Zeit galten sie als äußerst sichere Anlageform, da das Risiko eines staatlichen Zahlungsausfalls als sehr gering betrachtet wurde.

Als Zinszahlung erhält der Anleger die Rendite oder den Effektivzins. Dieser ergibt sich aus dem im Vorhinein festgelegten Zins der Anleihe (Kupon) und dem aktuellen Marktpreis (Kurs) des Papiers. Sinkt die Nachfrage und damit der Kurs der Anleihe, steigt die Rendite. dpa

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