Europas Jugend verzweifelt

Brüssel. Fertig ausgebildet, den Abschluss in der Tasche und bereit, ins Berufsleben einzusteigen - und dann doch auf der Straße, ohne Job und ohne Perspektive: Die hohe Jugendarbeitslosigkeit gehört zu den drängendsten Problemen der Europäischen Union (EU), ganz besonders in den von der Euro-Schuldenkrise gemarterten süd- und südosteuropäischen Staaten

Brüssel. Fertig ausgebildet, den Abschluss in der Tasche und bereit, ins Berufsleben einzusteigen - und dann doch auf der Straße, ohne Job und ohne Perspektive: Die hohe Jugendarbeitslosigkeit gehört zu den drängendsten Problemen der Europäischen Union (EU), ganz besonders in den von der Euro-Schuldenkrise gemarterten süd- und südosteuropäischen Staaten.

Während Deutschland einen zunehmenden Mangel an qualifizierten Nachwuchskräften verzeichnet, hat in Griechenland und Spanien inzwischen deutlich mehr als jeder zweite Jugendliche keinen Job. In Portugal, Italien, Lettland und Bulgarien ist rund jeder Dritte unter 25 Jahren arbeitslos, ein beträchtlicher Anteil von ihnen wiederum seit mehr als einem Jahr. Nun will die EU-Kommission mit einer gesetzlichen Initiative gegen die besonders schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt für unter 25-Jährige vorgehen.

Einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge wird der zuständige EU-Sozialkommissar László Andor morgen in Brüssel einen entsprechenden Regelungspakt vorstellen. Die Regierungen sollen sich zu einer sogenannten Jugendgarantie verpflichten, die das Anrecht junger Europäer auf Beschäftigung zumindest in irgendeiner Form sicherstellt.

Geplant ist demnach, dass junge Leute spätestens vier Monate nach Ende ihrer Ausbildung oder dem Verlust ihrer bisherigen Beschäftigung eine neue Stelle, einen Ausbildungsplatz oder wenigstens einen Praktikumsplatz erhalten müssen. Länder wie Österreich, die Niederlande und Norwegen gelten dabei als Vorbilder, die ähnliche Initiativen bereits erfolgreich durchführen.

Die EU-Kommission setzt dabei auf die aktive Mitarbeit der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter und die enge Zusammenarbeit mit den Arbeitsämtern in den Mitgliedsländern, heißt es. Außerdem könnten die Mitgliedstaaten ihre Erfahrungen im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit untereinander austauschen.

Finanziert werden könnten die jeweiligen Programme den Angaben zufolge mit Geld aus dem Europäischen Sozialfonds. Die EU-Kommission beziffert die Kosten der hohen Jugendarbeitslosigkeit auf insgesamt 153 Milliarden Euro pro Jahr - das sind rund 1,2 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Besonders fatal sind die Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft gerade in Krisenländern wie Griechenland und Italien. Derzeit suchen in der EU rund 5,5 Millionen junge Menschen einen Arbeitsplatz, also mehr als ein Fünftel der Altersgruppe. 7,5 Millionen unter 25-Jährige haben weder eine Stelle noch einen Ausbildungsplatz. Insgesamt erreichte die Jugendarbeitslosigkeit in der Europäischen Union im Oktober 23,4 Prozent und damit mehr als das Doppelte der allgemeinen Arbeitslosenquote, die bei 10,7 Prozent lag.

Unklar erscheint bislang allerdings nicht nur die konkrete Umsetzung solch einer neuen Verpflichtung, die den einzelnen EU-Staaten selbst überlassen bleiben soll, sondern auch die tatsächliche Wirkung einer Vorgabe, die keine Sanktionen im Falle eines Bruchs vorsieht.

Der Vorschlag soll zunächst in Form einer Empfehlung vorliegen, die rechtlich nicht bindend sei, erklärte der Sprecher von Souialkommissar Andor in Brüssel. Man setze jedoch auf den Mechanismus eines "Gruppendrucks" unter den Mitgliedstaaten.

Länder wie Großbritannien und Schweden hatten kritisiert, die EU sei für das Problem der Jugendarbeitslosigkeit nicht zuständig. Die Bundesregierung begrüßte den Vorstoß aus Brüssel, den man sich gerne anschaue, wie ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums sagte. Mit 8,1 Prozent war die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland im Oktober nach Angaben der Statistikbehörde Eurostat die niedrigste in Europa vor Österreich und den Niederlanden.

Eine aktuelle Studie der Organisation für wirtschaftliche und Entwicklung (OECD) in Paris lobte gestern Deutschland für eine verbesserte Arbeitsmarktsituation für die Kinder von Einwanderern, auch wenn diese oft schlechtere Bildungsabschlüsse hätten. Einer der Gründer dafür sei auch das duale Ausbildungssystem in Deutschland.

Konkrete Ideen sind gefragt

Von SZ-Korrespondentin

Birgit Holzer

Ein gesetzliches Verbot der Jugendarbeitslosigkeit - das klingt gut. Denn Millionen junger Europäer suchen mit einem Job auch Sinn und Bestätigung. Ihnen dabei zu helfen, muss eine Priorität für die Regierungen sein - ganz abgesehen von dem immensen Humankapital, das sie für die Volkswirtschaften darstellen. Die Jugendlichen ohne Beschäftigung kosten die Länder Milliarden. Um zu verhindern, dass eine Generation ohne Chancen heranwächst, sind politische Anstöße notwendig. Doch damit die sogenannte Job-Garantie mehr als eine wohlklingende Worthülse bleibt, sind nicht nur ehrgeizige Zielsetzungen wichtig, sondern vor allem konkrete Vorhaben. Die Garantie einer Anstellung "in irgendeiner Form" innerhalb von vier Monaten darf nicht in sinnloser Beschäftigungstherapie enden, die nur die Statistik schönt.

Hintergrund

Angesichts der Rezession in Griechenland erwartet die griechische Zentralbank einen weitere Zunahme der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenrate werde in den beiden kommenden Jahren 26 Prozent erreichen und übersteigen, schreibt die Bank in ihrem gestern veröffentlichten Halbjahresbericht. Die Arbeitslosigkeit habe einen "explosiven Anstieg" verzeichnet und sei von 7,6 Prozent im Jahr 2008 auf 17,7 Prozent 2011 und schließlich 23,5 Prozent in diesem Jahr gestiegen. afp

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