EU verschärft Kampf gegen Diskriminierung

Brüssel. Für Vladimir Spidla geht es um einen "Generalangriff auf jede nur erdenkliche Diskriminierung". Kritiker des EU-Sozialkommissars nennen seinen Plan eine "sinnlose Verschärfungsorgie". Die Reform der Anti-Diskriminierungsrichtlinie spaltet Europas Politiker und Sozialpartner

Brüssel. Für Vladimir Spidla geht es um einen "Generalangriff auf jede nur erdenkliche Diskriminierung". Kritiker des EU-Sozialkommissars nennen seinen Plan eine "sinnlose Verschärfungsorgie". Die Reform der Anti-Diskriminierungsrichtlinie spaltet Europas Politiker und Sozialpartner. Nur drei Jahre nachdem Deutschland den ersten Entwurf der EU-Richtlinie nach schweren Geburtswehen in ein eigenes Allgemeines-Gleichstellungs-Gesetz (AGG) gegossen hat, drängt Spidla auf eine Verschärfung. Und die hat es in sich. Weder das Alter, noch die sexuelle Ausrichtung, eine Behinderung oder die Religion dürfen zu Benachteiligungen in irgendeinem Lebensbereich führen. Auch die individuelle Weltanschauung muss geachtet werden. "Das klingt gut", sagt Manfred Weber, Innen-Experte der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. "Die Praxis aber hat es in sich." Tatsächlich dürfte eine katholische Schule nicht länger ein muslimisches Kind abweisen. Die Krankenversicherer müssten gleiche Tarife für Männer und Frauen errechnen, was zu erheblichen Preissteigerungen für männliche Patienten führen würde, da die Kosten für weibliche Versicherte höher liegen. Inzwischen habe man aber dem ersten Entwurf des Kommissars "die Zähne gezogen", heißt es vor allem bei den christkonservativen Straßburger Abgeordneten, die in der kommenden Woche auf eine Mehrheit für Korrekturen hoffen. Die aber ist ungewiss, weil SPD und Grüne von einer "großen Vereinfachung" sprechen, wenn 27 verschiedene nationale Gesetze "endlich zusammengeführt werden", wie es der Sozialdemokrat Wolfgang Kreissl-Dörfler ausdrückt. Die gefundenen Kompromisse aber dürften vor allem eines werden: ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Gerichte, wie Beispiele zeigen:> In ihrem Kernbereich dürfen Kirchen Andersgläubige ablehnen. Betreiben sie aber Schulen oder Kliniken, gilt dies als "allgemeine wirtschaftliche Tätigkeit". Hier wäre die Ablehnung einer muslimischen Krankenschwester eine (verbotene) Diskriminierung. Aber wo endet der Kernbereich?> Versicherungen dürfen in allen Bereichen unterschiedliche Tarife für Männer und Frauen anbieten, sofern es dafür objektive Kriterien gibt. Die aber werden umstritten sein.> Die Pressefreiheit steht in jedem Fall höher als die Anti-Diskriminierung. Im umgekehrten Fall hätten die Mohammed-Karikaturen nie erscheinen dürfen.Gelöst sei damit wenig bis gar nichts, fürchten viele EU-Politiker. So soll es künftig einem Wohnungsvermieter erlaubt sein, einen Behinderten abzulehnen, weil die Aufwendungen für einen Umbau von Räumen zu hoch sind. Ein Makler aber darf einen entsprechenden Interessenten nicht abweisen. "Das klingt klarer, als es ist", heißt es in Brüssel. Bestätigt werden diese latenten, aber auch offenen Bedenken durch die deutsche Praxis. Erst vor wenigen Tagen machte ein Aachener Gericht klar, dass Diskriminierung rechtlich schwer zu fassen ist. Ein Hausverwalter hatte einem farbigen Paar die Wohnungsbesichtigung verweigert, weil "nicht an Neger, äh . . . Schwarzafrikaner und Türken vermietet" werde. Die Klage gegen den Hausverwalter gehe ins Leere, hieß es, da nur der Wohnungseigentümer diese Diskriminierung aussprechen könne. Was er aber nicht getan habe. In der kommenden Woche will das Europa-Parlament den vorliegenden Reformentwurf beraten, Mitte Juli plant Spidla, seinen Gesetzesvorschlag vorzulegen. Und es sind nicht wenige, die fürchten, was da kommt. Meinung

Nicht jedes Detail diktieren

Von Detlef Drewes Für Diskriminierung gibt es keine Rechtfertigung. Für deren Bekämpfung mit Augenmaß aber schon. Es macht nämlich keinen Sinn, die Palette der schützenswerten Persönlichkeitsmerkmale so auszudehnen, dass am Ende jede Ablehnung eines Bewerbers oder Mieters zur Diskriminierung wird. Dies muss man sagen dürfen, ohne gleich als Befürworter von Benachteiligung zu gelten. Es gibt Vorschriften, die gehen so weit, dass sie statt Schutz der Betroffenen deren Benachteiligung erst recht provozieren. Weil ein Vermieter sich zum Beispiel überlegen wird, ob er eine Wohnung ausschreibt, die nicht behindertengerecht ist. Nein, die EU-Kommission muss nicht jedes Alltagsdetail dieses Grundrechtes diktieren. Es würde vollständig reichen zu überprüfen, ob die Mitgliedstaaten die entsprechenden Passagen der EU-Charta (wo der Kampf gegen Diskriminierung völlig zu Recht aufgeführt wird) angemessen umsetzen. Da gäbe es weitaus mehr zu tun, als mit überzogenen Vorschriften, die aus jedem Ringen um Gleichstellung im Alltag einen Sozialkonflikt machen, den man mit dem Hammer eines europäischen Gesetzes eher entzündet als schlichtet.

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