Neuwagen Europa zieht die Abgas-Zügel an

Berlin/Brüssel · Die EU verschärft die CO2-Grenzwerte für Neuwagen. Deutschland wollte weniger – und die Lobby schlägt Alarm.

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Foto: SZ

In den Chefetagen der deutschen Autohersteller dürfte keine vorweihnachtliche Stimmung aufkommen – ganz im Gegenteil. Denn kurz vor dem Fest kommt, aus Sicht der Branche, eine Hiobsbotschaft aus Brüssel. Die EU will die Grenzwerte für Neuwagen beim Ausstoß des wichtigsten Treibhausgases CO2 bis 2030 noch einmal deutlich verschärfen. Das Signal: Europa zieht die Zügel an. Der Autoindustrie droht die CO2-Falle. Es ist die Quittung für jahrelange Versäumnisse und den Abgas-Skandal.

Kurz nach der UN-Klimakonferenz in Kattowitz ist die Einigung der EU-Staaten, des Europarlaments und der Kommission aber auch ein wichtiges Signal für mehr Klimaschutz – selbst wenn Umweltverbände sich noch deutlich schärfere Ziele gewünscht hätten. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) begrüßte die Pläne. Verbraucher könnten sich auf sparsamere Autos freuen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dagegen warnte, der Kompromiss gehe an die Grenze dessen, was technisch und wirtschaftlich möglich sei.

Bis 2030 sollen laut der Einigung Neuwagen im Flottenschnitt 37,5 Prozent weniger Kohlendioxid (CO2) in die Luft blasen als 2021. Die Kommission war mit einem Zielwert von 30 Prozent in die Verhandlungen gegangen, die Bundesregierung hatte sich dahinter gestellt – Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte davor gewarnt, die Autoindustrie bei den Grenzwerten zu überfordern. Sonst bestehe die Gefahr, dass diese Schlüsselindustrie aus Europa „vertrieben“ würde. Insofern kann man die Einigung auf schärfere Grenzwerte auch als Klatsche für die Bundesregierung interpretieren. Oder hat die Autolobby an Einfluss verloren? Die Bande zur Politik galten immer als eng – ist die export­starke Branche doch eine der wichtigsten in Deutschland mit 820 000 direkt Beschäftigten. Doch angesichts der Abgas-Manipulationen bei Dieselwagen haben sich im politischen Berlin hinter den Kulissen kritische Stimmen gegen die Autoindustrie gemehrt, fordern mehr Anpacken in der Krise.

Die schärferen CO2-Grenzwerte seien auch eine Folge des Vertrauensverlustes nach dem Abgas-Skandal, sagt Branchenexperte Stefan Bratzel vom CAM-Institut in Bergisch Gladbach. Es werde eine „mehr als herkulesische Aufgabe“ für die Hersteller, die CO2-Ziele bis 2030 zu erreichen. Die derzeitigen Anstrengungen in Richtung E-Mobilität müssten erheblich erhöht werden. Bis 2030 sei bei Pkw-Neuzulassungen ein E-Anteil von 35 bis 40 Prozent nötig. Bisher liegt er bei 1,5 Prozent.

Die deutsche Autoindustrie hat zuletzt den Umstieg auf die E-Mobilität massiv beschleunigt. VW-Konzernchef Herbert Diess kündigte als Reaktion auf die Brüsseler Pläne denn auch ein noch weitergehendes Umbauprogramm an. Als größtes Hindernis für einen Durchbruch von E-Autos aber gilt ein bisher fehlendes flächendeckendes Netz an Ladestationen. Der Diesel werde als Brückentechnologie benötigt, heißt es in der Branche. Dazu kommt, dass die Rendite im boomenden SUV-Segment am höchsten ist, und diese schweren Wagen sind im Wesentlichen Diesel.

Allerdings haben der Abgasskandal, der Vertrauensverlust in den Antrieb und drohende Fahrverbote die Diesel-Neuzulassungen auf Talfahrt geschickt. Das führt dazu, dass den Herstellern nun die CO2-Falle droht. Denn viele Diesel stoßen bei vergleichbarer Leistung weniger CO2 aus als Benziner. Sprich: Je weniger Diesel verkauft werden, desto schwieriger wird es, die CO2-Ziele zu erreichen.

Die schärferen Grenzwerte der EU dürften in den Belegschaften von VW, Daimler & Co. für Unruhe sorgen. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh hatte bereits vor „unplanbaren Arbeitsplatzverlusten“ gewarnt. Bratzel sieht 15 bis 20 Prozent der Jobs als gefährdet an – denn beim Bau von E-Autos werden weniger Komponenten benötigt. Und ein wesentlicher Teil der Wertschöpfung bei E-Fahrzeugen – die Batteriezelle – kommt bisher vor allem aus Asien.

Der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic sprach mit Blick auf die verschärften Grenzwerte von einem „Jobkiller“ für den Standort Deutschland. Auch die Autolobby zeigte sich entsetzt und warnte. Dabei hat der gesamte Verkehrsbereich bei der CO2-Verringerung riesigen Nachholbedarf. Die Belastungen stiegen zuletzt angesichts von mehr Autos, höheren Fahrleistungen und immer stärkeren Motoren deutlich. Der Verkehrssektor muss also liefern – zumal noch mehr ansteht. Die Bundesregierung plant 2019 ein Klimaschutz-Gesetz mit verbindlichen Vorgaben auch im Verkehr. Besonders die Debatte über nationale CO2-Preise könnte an Fahrt aufnehmen. Solche würden nichts anderes bedeuten als: Autofahren mit Verbrennungsmotor wird teurer – wenn nicht von anderswo Entlastung kommt.

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