Neue EU-Maßnahmen Der Plastik-Misere auf der Spur

Berlin · Mehr Plastik als Fisch in den Weltmeeren? Damit dieses Schreckensszenario nicht zur Realität wird, hat die EU jetzt drastische Maßnahmen ergriffen: Schon in wenigen Jahren wird unser Alltag ganz anders aussehen als bisher.

220,5 Kilo, so viel bekommen nur sehr gut trainierte Gewichtheber über den Kopf gestemmt. In der Disziplin Reißen sind 220 Kilo sogar Weltrekord. Das ist die Menge an Verpackungsmüll, die statistisch jeder Deutsche im Jahr produziert. 18,16 Millionen Tonnen waren es 2016, das sind die neuesten Zahlen des Umweltbundesamts. Zu viel, da sind sich Umweltschützer einig. Einen großen Anteil hat unser Lebensstil: Kaffee zum Mitnehmen, kleine Portionen für Single-Haushalte, Kochen mit vorportionierten Lebensmitteln, im Netz bestellen und liefern lassen.

Wenn die Welt nicht gegensteuert, könnte 2050 mehr Plastik im Meer schwimmen als Fisch. Das will die EU unbedingt verhindern – und hat nun gehandelt. Vertreter des Europäischen Parlaments, der EU-Staaten und der EU-Kommission haben sich gestern Abend auf ein Maßnahmenpaket geeinigt, das vorsieht, Einwegkunststoffprodukte wie Strohhalme oder Becher künftig durch umweltfreundlichere Artikel zu ersetzen. Für Brüsseler Verhältnisse ging das blitzschnell: Nur ein gutes halbes Jahr nach dem ersten Vorschlag der EU-Kommission steht ein Verbot von diversen Plastikwegwerfartikeln, für die es Alternativen gibt. 2021 sollen sie in ganz Europa vom Markt verschwinden.

Dazu gehören neben Plastiktellern- und -besteck, Strohhalmen und Wattestäbchen auch Behälter und Becher aus aufgeschäumtem Polystyrol, das oft genutzt wird, um Heißes warm zu halten. Zudem soll es künftig keine Luftballonstäbchen aus Plastik mehr geben. Die Idee, auch Ballons an sich zu verbannen, wie es ebenfalls diskutiert worden war, konnte sich nicht durchsetzen. Den Luftballon zum Geburtstag wird es also künftig noch geben.

Mit dem Verbot des Plastikbestecks haben vor allem Imbissbuden in absehbarer Zeit ein Problem. Sie müssen sich nach einer Alternative umsehen. Das könnten etwa Holzbestecke sein oder Glastrinkhalme.

Zudem sollen auch alle Produkte aus sogenanntem oxo-abbaubarem Kunststoff verboten werden, weil der Stoff in Mikroplastik zerfällt und Umwelt und Gesundheit belasten kann. Diese Produkte werden heutzutage beispielsweise als Mulchfolien in der Landwirtschaft benutzt.

Produkte, für die es keinen guten Ersatz gibt, sollen nicht verboten, aber doch zurückgedrängt werden, darunter Plastikbehälter für Fastfood und Plastikbecher samt Deckel. Einige Einmalartikel mit Kunststoffgehalt sollen einen Hinweis für eine geeignete Entsorgung erhalten, um auch Verbraucher in die Pflicht zu nehmen. Dazu gehören zum Beispiel Feuchttücher.

PET-Flaschen müssen ab 2025 zu mindestens 25 Prozent aus Recycling-Plastik bestehen, was den EU-Staaten einen Anreiz für Sammelsysteme geben soll. Bis 2030 soll der Anteil auf 30 Prozent klettern. Deutschland hat ja bereits das Einwegpfand, hier dürfte sich für Verbraucher wenig ändern. Neu ist aber, dass Deckel von Einwegflaschen aus Kunststoff spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten der Regelung immer mit der Flasche verbunden sein müssen, damit sie nicht einzeln in der Umwelt landen.

„Ich glaube, es ist uns hier wirklich etwas Einzigartiges gelungen, wir sind weltweit Vorreiter“, sagte die österreichische Umweltministerin und Verhandlungsführerin Elisabeth Köstinger gestern früh in Brüssel. „Das ist ein sehr, sehr wichtiges Signal dagegen, dass die Plastikverschmutzung mittlerweile wirklich immens um sich greift.“

 Auch die verbraucherpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im saarländischen Landtag, Isolde Ries, freut sich über die Entscheidung der EU. „Einweg ist kein Weg!“, sagt Ries und hofft, dass in absehbarer Zeit weniger Wegwerfplastik in den Weltmeeren landet. „Das ist ein Meilenstein und ein Zeichen für andere Länder, es gleich zu tun.“

Umstellen muss sich nun vor allem die Kunststoffbranche, die nach Behördenangaben 2015 einen Umsatz von 340 Milliarden Euro machte und 1,5 Millionen Menschen beschäftigte. Und auch für die Tabakindustrie ist das Plastikpaket eine bittere Pille. Denn darin steckt die Pflicht für Hersteller, sich an den Kosten für das Einsammeln von Zigarettenstummeln zu beteiligen. Die Filter enthalten ebenfalls Kunststoff und sind nach EU-Angaben eines der Plastikwegwerfprodukte, die am häufigsten in der Umwelt landen. Die Entwicklung von Filtern ohne Kunststoffe solle vorangetrieben werden, mahnen die EU-Unterhändler in ihrem Kompromisspaket.

Verworfen wurde indes die Idee einer Plastiksteuer. Unklar ist, ob dieser Vorstoß noch mal aufgegriffen wird, wenn feste Recyclingquoten für die Mitgliedstaaten wieder auf der Tagesordnung stehen. Die Kommission verspricht sich von dem jetzt vereinbarten Plan schon große Umweltvorteile. Die Maßnahmen sollen den Ausstoß von Kohlendioxid um 3,4 Millionen Tonnen verringern. Bis 2030 könnten Umweltschäden im Wert von 22 Milliarden Euro vermieden werden, hieß es. Verbraucher könnten bis zu 6,5 Milliarden Euro sparen.

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