EU-Parlament fordert Warnschuss Richtung USA

Brüssel/Straßburg · Die Schnüffeleien der NSA haben in der EU zu starker Verärgerung geführt. Das Europäische Parlament plädiert nun dafür, das sogenannte Safe-Harbour-Abkommen über den Datenaustausch mit den USA auszusetzen.

Die Wut sitzt tief. "Von einem sicheren Hafen kann keine Rede sein", sagt die Innenexpertin der SPD-Fraktion im Europäischen Parlament, Birgit Sippel, an diesem Mittwochnachmittag im Straßburger Plenum. Ihre christdemokratische Kollegin Doris Pack ist noch entschlossener: "Wir träfen mit unseren Maßnahmen die Wirtschaft der USA - nur so bewegt sich etwas im Weißen Haus." Mit seltener Einigkeit reagiert die europäische Volksvertretung auf die immer neuen Enthüllungen über die Schnüffelpraxis des US-Geheimdienstes NSA.

Erst am Tag zuvor hat der Untersuchungsausschuss der EU-Abgeordnetenkammer seinen eigenen, 52-seitigen Abschlussbericht vorgelegt. Darin wird wörtlich eine "gewaltige, systematische Blanko-Erfassung persönlicher Daten" festgestellt. Auch europäische Vertretungen und EU-Institutionen wurden abgehört, Dienst-Computer angezapft und Büros verwanzt. Als nun auch noch die ersten Berichte aus Deutschland über ein Umschwenken der US-Unterhändler eintreffen, die zwar erst mehr Datenschutz in Aussicht stellten, aber inzwischen davon nichts mehr wissen wollen, quillt die Entschlossenheit über.

Zwar wollen nicht alle Fraktionen im Europäischen Parlament das Swift-Abkommen über den Austausch von Bankdaten aussetzen, wohl aber die sogenannte Safe-Harbour-Vereinbarung ("Sicherer Hafen") aus dem Jahre 2000. "Die EU-Kommission muss verhindern, dass die Daten europäischer Bürgerinnen und Bürger weiterhin ungehindert in unsichere Datenhäfen der USA gelangen", fordert der Grünen-Experte Jan Philipp Albrecht. Und sogar aus der konservativen Fraktion, die sonst eher bereit ist, Washington zu geben, was es fordert, kommen inzwischen deutliche Töne. Manfred Weber (CSU), stellvertretender Chef der EVP-Mehrheitsfraktion: "Europa muss seine Werte verteidigen. Ich hoffe, dass die US-Regierung versteht, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann."

Tatsächlich könnte das Aussetzen der Safe-Harbour-Vereinbarung weh tun. Genau genommen handelt es nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag, sondern um eine EU-Richtlinie. Sie verbietet es, persönliche Daten von europäischen Bürgern in Staaten zu bringen, die kein vergleichbares Datenschutz-Niveau haben. Das trifft auf die USA zu. Damit der Datenverkehr trotzdem nicht zum Erliegen kommt, können US-Unternehmen dem Safe-Harbour-Pakt beitreten, indem sie sich auf eine entsprechende Liste des US-Handelsministeriums eintragen lassen. Sie bekräftigen somit, die europäischen Datenschutz-Regelungen zu akzeptieren. IBM, Microsoft, Amazon, Google, Dropbox, Facebook und Apple sowie einige weitere Konzerne haben dies getan. Im Zuge der NSA-Affäre aber wurde deutlich, dass der amerikanische Geheimdienst sie ebenfalls zur Abgabe von Informationen gedrängt, gezwungen oder verdonnert hat.

Ein Aussetzen des Abkommens würde nach Einschätzung von Juristen die beteiligten Unternehmen praktisch sofort vom europäischen Markt abschneiden. Solange sie nicht sicherstellen, dass sie die unverschlüsselt verfügbaren Nutzerdaten nach EU-Standard schützen, wäre kein Wiederanlaufen des Geschäftes möglich. "Einen Markt mit 508 Millionen Verbrauchern zu verlieren, tut richtig weh", hieß es gestern in Straßburg.

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