EU-Kritiker wollen Juncker aus dem Amt jagen

Brüssel · Ihre Chancen sind zwar gering: Dennoch wollen Rechte und Anti-Europa-Politiker den neuen Kommissionschef von seinem Posten zu stürzen. Abseits der Medien zeiht sich indes die Schlinge um Luxemburg und Co. wegen ihrer Steuerspar-Modelle weiter zu.

In der Umgebung von Jean-Claude Juncker gibt man sich betont gelassen. Mit den Worten "Dann wird die nächste Woche ja noch ereignisreicher", reagierte ein Sprecher des EU-Kommissionspräsidenten auf die neuen Attacken gegen den 59-jährigen Luxemburger. Der wird sich im Plenum des Europäischen Parlamentes einem Misstrauensvotum stellen müssen. Die vertraglich festgesetzte Zahl von 76 Stimmen (zehn Prozent der insgesamt 751 Abgeordneten) haben die Antragsteller zusammen: Die 44 Mitglieder der Fraktion "Europa der Freiheit und Direkte Demokratie" (EFDD) um den britischen EU-Gegner Nigel Farage werden von den Abgeordneten des französischen Front National unter ihrer Chefin Marine Le Pen unterstützt. Der Rest stammt von weiteren fraktionslosen Parlamentariern, die dem rechten Flügel zugerechnet werden.

Damit sieht sich der von viel Hoffnung getragene Juncker keinen Monat nach seinem Amtsantritt mit einem formellen Amtsenthebungsverfahren konfrontiert, dessen Chancen allerdings gleich Null sind. "Wir werden das nicht zulassen", reagierte der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion, Manfred Weber , bereits auf den Vorstoß. Und auch der Chef der sozialdemokratischen Fraktion, der Italiener Gianni Pitella, sagte, man beteilige sich nicht an "destruktiven Manövern". Grüne und Liberale wollen die rechte Initiative ebenso wenig mittragen, bestehen aber auf der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, über den das Europäische Parlament in einem gesonderten Votum entscheiden muss.

Hinter den Kulissen reagieren zwar inzwischen auch Vertreter der beiden großen Blöcke "wütend und entsetzt" über die Details der Luxemburger Steuervermeidungs-Praxis, bei der rund 350 europäischen Großkonzernen lukrative Modelle zur Senkung ihrer Abgabenlast auf bis zu einem Prozent angeboten worden waren. Zunächst hatte es zwar geheißen, Juncker habe als luxemburgischer Premier und Finanzminister in einer Person selbst nicht "aktiv" mitgewirkt. Inzwischen werden in Brüssel jedoch Belege zitiert, nach denen diese Behauptung "schlicht falsch" sein soll.

Dass ausgerechnet der Chef der Eurogruppe, der Juncker von 2004 bis 2013 vorsaß, den überschuldeten Ländern "die Troika ins Haus schickte, danach aber in seiner Heimat an Modellen bastelte, um den befreundeten Mitgliedstaaten die Steuereinnahmen wegzunehmen", erzürnt nicht nur griechische und spanische Abgeordnete, die immer drängender nach Konsequenzen rufen.

Diese deuten sich bereits an. Denn während die Abgeordneten über den Fall Juncker diskutieren, trieb Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die Ermittlungen wegen unerlaubten staatlichen Beihilfen in vier Fällen gegen das Großherzogtum, die Niederlande und Irland voran und kündigte neue an. "Wir haben auch Großbritannien, Belgien, Malta und Zypern um Informationen zu bestimmten Unternehmen gebeten", betonte sie in einem Interview. In drei weiteren Ländern seien Ermittlungen möglich.

Dass der Luxemburger Weg legal war, bleibt unbestritten. Ein Verstoß gegen das europäische Beihilferecht dürfte aber nachweisbar sein - für einen Kommissionspräsidenten ein durchaus gravierender Vorgang. Dass Juncker dennoch von der Mehrheit der Parlamentsmitglieder gestützt werden wird, hat einen triftigen Grund: Die Volksvertreter würden mit einer Abwahl Junckers auch gleich die komplette Kommission aus dem Amt jagen. Dann entstünde ein monatelanges Machtvakuum, das sich die EU nicht leisten kann.

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