EU-Kommissare auf dem Prüfstand

Brüssel · In den vergangenen Jahren hatte das EU-Parlament regelmäßig Einwände gegen einen oder mehrere der designierten Kommissare. Auch diesmal gibt es Wackelkandidaten. Die Befragungen sind also keine reine Formsache.

Die europäische Volksvertretung ist stolz auf dieses Ritual. In keinem anderen Parlament der Mitgliedstaaten müssen sich künftige Minister einer Befragung durch die Abgeordneten stellen, ehe sie ihr Amt übernehmen dürfen. Für die 27 künftigen EU-Kommissare (Präsident Jean-Claude Juncker ist bereits gewählt) aber beginnt heute genau dieser Testlauf. "Kein Bewerber hat einen Freibrief", kündigte der Chef der christdemokratischen Mehrheitsfraktion, Manfred Weber (CSU ), an. Die Abgeordneten dürfen allerdings nur das Team als Ganzes akzeptieren oder ablehnen, auch wenn nur ein Bewerber durchfällt. Das war in den zurückliegenden Jahren regelmäßig der Fall.

Und auch dieses Mal gibt es "Schwachpunkte", wie es bei den großen Fraktionen heißt. Dazu zählt die gerade erst abgewählte slowenische Regierungschefin Alenka Bratusek, die sich vor ihrem Ausscheiden aus dem Regierungsamt selbst als Kommissarin nominierte und nun ohne Rückendeckung der neuen Führung in Ljubljana dasteht. Ins Visier der Kritiker ist auch der Spanier Miguel Arias Cafiete geraten, der als "Erdöl-Lobbyist" gilt und von Juncker ausgerechnet mit dem Energie- und Klima-Ressort betraut werden soll. Einen anderen Problemfall hat der designierte Kommissionschef inzwischen selbst gelöst: Ursprünglich sollte der britische Kommissar Jonathan Hill für den Finanzmarkt zuständig sein. Dazu hätte auch die Aufsicht über die gedeckelten Vergütungen der Banken-Manager gehört. Als jedoch herauskam, dass Hill selbst lange Jahre als Lobbyist für die Geldinstitute zuständig war, entzog Juncker ihm diesen Aufgabenbereich.

Dagegen dürfte Günther Oettinger nicht wirklich bangen müssen. Der frühere CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg soll vom Energieressort in das Kommissariat für die "digitale Wirtschaft" wechseln. Eine "Herkules-Aufgabe", heißt es in Brüssel , denn der Schwabe wird nicht nur für den Datenschutz, die Telekommunikation oder das Urheberrecht zuständig sein. Er muss bereits heute Abend vor dem Industrieausschuss klarmachen, wie er die Vormacht der großen US-Konzerne Google, Intel oder Hewlett Packard bremsen will. Entgegen ersten Gerüchten, die Bundesregierung sehe in dieser Aufgabe für Oettinger eine Abstrafung, weil er von Juncker nicht zu einem der sieben Vizepräsidenten mit größeren Kompetenzen gemacht worden sei, betont das Kanzleramt inzwischen, man sei "zufrieden".

Um diesen Eindruck bemühen sich alle, die bisher benannt wurden. Kritik gibt es dennoch. Denn die Bewerber nahezu aller großen Mitgliedstaaten finden sich in der neuen Kommission auf der untersten Ebene wieder, während die Vizepräsidenten aus Finnland, Lettland oder Litauen sowie Slowenien kommen. "Da hat sich Juncker viele Feinde gemacht", sagt man im Parlament.

Die Volksvertreter können Juncker sowie den neun Frauen und 17 Männern seiner Mannschaft durchaus das Leben schwer machen - und im äußersten Fall dafür sorgen, dass aus dem für 1. November geplanten Start der Kommission ein Fehlstart wird. Sollte ein abgewiesener Anwärter nicht schnell ersetzt werden, steht das Votum über die gesamte Führungsriege Mitte Oktober auf der Kippe.

Meinung:

Heilsamer Druck

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Die Anhörungen der Kommissions-Kandidaten vor dem EU-Parlament ist keine lästige Pflichtübung. Es ist genau genommen ein urdemokratisches Instrument, das den Vorrang der Volksvertreter vor den künftig Mächtigen herausstellt. Wie groß der heilsame Druck auch auf den neuen Kommissionspräsidenten ist, zeigt die Korrektur des Aufgabengebietes von Jonathan Hill, dem designierten britischen Kommissar, der als Lobbyist der Banken einen Teil seiner Zuständigkeit schon verlor, noch bevor er überhaupt ins Amt kam. Bei aller (berechtigten) Kritik an den demokratischen Defiziten im EU-Betrieb zeigt dieses Instrument der Anhörung, wie man neue Verantwortungsträger auf Herz und Nieren, aber eben auch auf ihre Eignung hin prüfen kann.

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