EU-Gipfel stoppt Verkleinerung der Kommission

Brüssel · Aus der Verkleinerung der EU-Kommission auf zwei Drittel der heutigen Besetzung wird nun doch nichts. Die Empörung ist groß. Der saarländische Europa-Abgeordnete Jo Leinen spricht von einem völlig falschen Signal.

20 Millionen Arbeitslose, darunter fünf Millionen Jugendliche - eigentlich hätten die 27 Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem heutigen Gipfeltreffen genug zu tun gehabt. Doch seit gestern schlagen die Wellen der Empörung hoch. Schließlich werden die 27 Chefs in aller Stille eine Reform beerdigen, die unter großer Aufmerksamkeit vor einigen Jahren im Lissabonner Vertrag festgeschrieben worden war: die Verkleinerung der Kommission auf zwei Drittel der heutigen Besetzung ab 2014. Statt derzeit 27, ab 1. Juli sogar 28 Kommissarinnen und Kommissaren hätte das Gremium also auf 19 verkleinert werden müssen. Doch daraus wird nichts. Denn die Bundesregierung legt in Brüssel einen Antrag vor, um eine derzeit geltende Sonderregelung zu verlängern.

2008 drohte der neue europäische Grundlagenvertrag nämlich bei einem zweiten Referendum in Irland zu scheitern. Als rund um Dublin die Furcht aufkam, man werde künftig keinen eigenen Kommissar mehr stellen dürfen, reagierte Brüssel und setzte die geplante Reform aus. Das Referendum klappte. Doch nun soll aus der Sonderregelung zumindest vorläufig ein Dauerzustand werden. Berliner Regierungskreise bestätigten gestern das Vorhaben, lehnten es aber strikt ab, von einem "Trick" zu sprechen. Schließlich könnten die Staats- und Regierungschefs völlig legal einstimmig Regelungen des Vertrages ändern. Das geschehe eben jetzt. "Das ist absurd, ein absoluter Skandal", schimpfte der Liberale Alexander Graf Lambsdorff gegenüber der SZ. Sein christsozialer Parlamentskollege Markus Ferber sagte zynisch: "Die Staats- und Regierungschefs bestehen den Praxistest ihrer eigenen Beschlüsse nicht. Jetzt haben sie Angst vor der eigenen Courage." Und der EU-Verfassungsexperte Jo Leinen von der sozialdemokratischen Fraktion hält das Vorgehen ganz einfach für "schlecht". Es sei ein "völlig falsches Signal". Schließlich verhandeln die Mitgliedstaaten gerade erst mit den Abgeordneten-Vertretern, um sie zur Zustimmung für einen Sparhaushalt für die nächsten Jahre in Höhe von 960 Milliarden Euro zu bewegen. "Der EU-Gipfel betreibt Arbeitsverweigerung", ergänzte Lambsdorff. "Wer da heute zustimmt, darf sich niemals mehr über Überregulierung aus Brüssel beschweren." Denn schließlich kosten Kommissare nicht nur viel Geld - pro Jahr summieren sich deren Gehälter sowie die des siebenköpfigen Kabinetts plus Fahrer auf rund 1,5 Millionen Euro je Kommissar.

Immer häufiger hat Präsident José Manuel Barroso auch Probleme, für neue Mitglieder seines Teams angemessene Ressorts zu finden. So wurde in seiner ersten Legislaturperiode der neue rumänische Kommissar zum bedeutungsvollen Beauftragten für Vielsprachigkeit. Der künftige kroatische Kommissar wird für Verbraucherschutz zuständig sein. Bisher machte sein Gesundheitskollege dieses Thema mit. Dabei geht es bei dem Krach keineswegs nur um die Größe der Kommission und ihre Regierbarkeit, sondern um das Schaffen von Fakten, die weitgehende andere Reformentwürfe unmöglich machen könnten. Spätestens im Herbst wird die Straßburger Volksvertretung einen eigenen Vorstoß präsentieren, dessen Ziel im Ausbau der Kommission zu einer europäischen Regierung besteht. Die soll normale Exekutivaufgaben übernehmen und aus Senior- und Junior-Kommissaren bestehen, vergleichbar dem bayerischen Regierungsmodell, bei dem Minister und Staatssekretär gleichermaßen stimmberechtigt das Kabinett bilden. "Spätestens dann", sagt der Sozialdemokrat Jo Leinen, "werden wir das Thema Verkleinerung der Kommission noch einmal auf dem Tisch haben."

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