EU-Treffen in Salzburg Die Migration und der Gipfel der Uneinigkeit

Salzburg · Keine Annäherung beim Thema Flüchtlinge – und auch sonst wurden beim Treffen der EU-Regierungschefs in Salzburg Probleme vertagt.

Die EU steht vor gewaltigen Problemen: Migration und Brexit verlangen nach Lösungen. Grund genug für ein außerordentliches Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs, das gestern Abend in Salzburg begann. Und bei dem schnell klar wurde: Die Differenzen sind weiterhin größer als die Gemeinsamkeiten.

Donald Tusk versuchte es mit einem Appell: „Anstatt politisches Kapital aus der Lage zu schlagen, sollten wir uns darauf konzentrieren, was funktioniert.“ Der EU-Ratspräsident drängte schon darauf, „die Schuldzuweisungen in der Migrationskrise zu beenden“, da waren noch nicht einmal alle 28 Staats- und Regierungschefs in Salzburg eingetroffen. Doch dieser EU-Gipfel, mit dem der österreichische Kanzler Sebastian Kurz eigentlich so etwas wie ein Meisterstück als Brückenbauer zwischen den zerstrittenen Staatenlenkern abliefern wollte, war einem Eklat näher als einem Durchbruch. Das Konzept der Europäischen Kommission für eine massive Ausweitung der Frontex-Grenzschutzagentur von derzeit 1500 auf 10 000 Mann stellte zwar niemand ernsthaft infrage. Dafür waren die Details umstritten. Immerhin will Brüssel durchsetzen, dass die neue Truppe im Ernstfall auch gegen den Willen einer Regierung an deren Grenzen stationiert werden kann, was zumindest rechtlich schwierig ist. Noch komplizierter wird es, wenn sich die EU-Behörde die Hoheit sichern will, unbotmäßige Regierungen unter Druck zu setzen, indem die Nachbarn aufgerufen werden könnten, die Grenze zu dem widerwilligen Familienmitglied dichtzumachen. „Das funktioniert nicht“, hieß es gestern in Salzburg. Damit sei der Schengen-Vertrag berührt. Der aber ist ein völkerrechtlicher Vertrag, aus dem man nicht einfach jemanden rausdrängen kann. Besonders umstritten war und bleibt auch nach Salzburg, ob sich die Mitgliedstaaten verpflichten müssen, eine bestimmte Quote an Zuwanderern aufzunehmen, die von einer Europäischen Asylagentur zugeteilt werden. „Das kommt nicht infrage“, hieß es aus dem Umfeld des tschechischen Regierungschefs Andrej Babis. Ungarns Premierminister Viktor Orbán („Wir bestehen auf unserem Recht“) winkte sowieso ab. Seit das EU-Parlament in der Vorwoche seine Regierung wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit attackiert hatte, lehnt Orbán alles unter EU-Fahne ab. Italien will die Partner zu eben diesen Quoten zwingen, so lange soll die EU-Seenotrettungsmission „Sophia“ im Mittelmeer ausgesetzt bleiben. In dem Durcheinander versuchte Tusk gar keine Einigung, sondern trat die Flucht nach vorne an: Wieder einmal warb er für seine „Anlandeplattformen“ in nordafrikanischen Ländern für gerettete Flüchtlinge, in denen die Asylanträge bearbeitet und entschieden werden sollen, noch ehe sie nach Europa kommen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich für eine engere Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten aus – vor allem mit Ägypten, das offenbar bereit ist, eine EU-Auffangstation einzurichten. Tusk will im Februar einen Gipfel der EU mit den Spitzen des arabischen Raums. Er vertagte lieber als Differenzen zu vertiefen.

Mit dem Konzept bewältigte die Union in Salzburg auch das Thema Brexit. Tusk: „London muss die Pläne überarbeiten.“ Merkel gab sich auch sanft, der Brexit solle „in einer freundschaftlichen Atmosphäre und mit großem Respekt“ entstehen. Also blieb es bei einem freundlichen, aber distanzierten Echo, das der britischen Premierministerin aber erlaubt, zuhause mit der Botschaft „Ich habe der EU gesagt, was wir fordern“ zu punkten. Davon haben am Ende wohl beide Seiten etwas.

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