Hambacher Forst Mit schwerem Gerät gegen den Wald-Protest

Kerpen · Großeinsatz im Hambacher Forst: Die Behörden lassen den Ort des Widerstands räumen – allerdings nicht wegen der Braunkohle.

 Gegen Widerstand holen Einsatzkräfte die Aktivisten von den Bäumen im Hambacher Forst: Rund 150 Braunkohlegegner leben im Protestcamp auf rund 50 Baumhäusern. Die Polizei begann gestern mit der Räumung.

Gegen Widerstand holen Einsatzkräfte die Aktivisten von den Bäumen im Hambacher Forst: Rund 150 Braunkohlegegner leben im Protestcamp auf rund 50 Baumhäusern. Die Polizei begann gestern mit der Räumung.

Foto: AP/Martin Meissner

Freddy sitzt zehn Meter hoch über dem Waldboden. Er trägt Mütze, Brille und Gesichtsvermummung. Sein Körper ist in gold- schimmernde Rettungsfolie gehüllt, gegen die Kälte. Immer wieder appelliert er mit lauter Stimme an die Polizisten am Boden: Wollen Sie wirklich dabei mithelfen, einen alten Wald zu vernichten? Wollen Sie Baumhäuser zerstören, in denen manche Menschen schon sechs Jahre wohnen? Und all das für die Kohle, die das Klima anheizt? „Die Befehle, die Ihr ausführt, sind Verbrechen!“, ruft er. In 20, 30 Jahren werde niemand mehr verstehen, was an diesem Septembertag im Hambacher Forst geschehen sei.

Tief unter Freddy spielt sich eine merkwürdige Szene ab. Joachim Schwister, Baudezernent der Stadt Kerpen, spricht in ein Megafon: „Achtung! Achtung!“ In peniblem Verwaltungsdeutsch verkündet er dann das, was die Eskalation um den Hambacher Forst, in dem der Energiekonzern RWE im Herbst weiter roden will, auf eine neue Stufe hebt. „Die Baumhäuser verfügen nicht über erforderliche Rettungswege“, sagt er. Sie seien unverzüglich zu räumen. Auch der Brandschutz sei ein Problem. „Bitte nehmen Sie beim Verlassen der Baumhäuser Ihre persönlichen Gegenstände mit.“ Die Gegenseite reagiert mit Gelächter.

Es ist nicht etwa Widerstand gegen die Staatsgewalt oder RWE, der den Waldbesetzern zu diesem Zeitpunkt vorgeworfen wird, es sind Verstöße gegen das Baurecht, den Brandschutz. Kurios dabei: Während der großen Trockenheit im Sommer geschah nichts, jetzt ist der Wald nach stundenlangem Regen feuchtnass.

Das Ultimatum von einer halben Stunde verstreicht. Dann fährt ein Forstfahrzeug mit Greifer auf den Waldweg und räumt die erste Barrikade aus Stöcken und Ästen weg. Polizisten, die den Einsatz der Behörden schützen sollen, lösen eine Sitzblockade am Boden auf. Ein Laster mit Hebekran fährt vor, um die Aktivisten aus den Baumhäusern in 20 Metern Höhe zu holen.

Der Polizeieinsatz mit Hundertschaften gehört zu den größten der jüngeren Geschichte Nordrhein-Westfalens. Aus ganz Deutschland kommen Beamte, darunter Spezialisten für Einsätze in großer Höhe, mit dabei auch Wasserwerfer und schweres Gerät. Rund 50 Baumhäuser gibt es im Hambacher Forst. Gestern bekommt man einen Eindruck davon, wie mühsam und damit langsam ihre Räumung abläuft. Die Polizei rechnet damit, dass der Einsatz Tage dauern kann – sollte er nicht noch gestoppt werden. An den Verwaltungsgerichten Köln und Aachen gehen mehrere Eilanträge gegen die Räumung ein.

Friedlich bleibt es nicht. Beamte seien mit Steinen und Molotow-Cocktails beworfen worden, berichtet die Polizei. Ein Beamter sei leicht verletzt worden. Drei Personen werden demnach in Gewahrsam genommen. Die Aktivisten werfen der Polizei hingegen vor, die Lage zu eskalieren. Die Aktivisten in den Hütten halten den Forst besetzt, um seine Rodung zu verhindern. Einige haben sich seit Jahren auf diese Situation vorbereitet und machen es den Polizisten daher so schwer wie möglich. Für ihren jahrelangen Protest ist der gestrige Tag eine Zäsur. Denn die in den vergangenen Jahren geduldeten Baumhäuser sind ein Symbol des Widerstands gegen die Braunkohle geworden. Als Reaktion auf den Polizeieinsatz kündigen die Aktivisten und Umweltschützer „zivilen Ungehorsam“ und eine „bundesweite Massenmobilisierung“ an.

 Einige der Umweltaktivisten sind militant, in der Vergangenheit flogen schon Steine. Entsprechend gerüstet rückt die Polizei gestern vor.

Einige der Umweltaktivisten sind militant, in der Vergangenheit flogen schon Steine. Entsprechend gerüstet rückt die Polizei gestern vor.

Foto: dpa/Jana Bauch

RWE will den schon in großen Teilen abgeholzten Wald zwischen Köln und Aachen im Oktober weiter roden, um die Braunkohle unter ihm ausbaggern zu können. Vor einer Rodung muss er geräumt werden, das war allen klar. Aus Sicht von RWE ist die Abholzung unvermeidbar, um die Stromproduktion in den Braunkohlekraftwerken zu sichern. Ein RWE-Sprecher betont indes gestern, der Konzern sei nicht „unmittelbarer Veranlasser“ des Einsatzes. Die Rodung sollte „wie geplant erst im Oktober beginnen“. Die in der Kohleausstiegs-Kommission vertretenen Umweltverbände sprechen von einer überflüssigen und gefährlichen Eskalation. Deren Ausgang ist im Hambacher Forst nach dem ersten Räumungstag noch offen.

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